Das Entwickeln von Medizin-Apps ist komplex, langwierig und teuer
Dr. Markus Müschenich gehört dem Vorstand des Bundesverbandes Internetmedizin an. Er ist zugleich als Managing Partner von „Flying Health“ aktiv, einer Plattform, die Startups hilft, digitale Diagnose- und Therapieanwendungen auf den Markt zu bringen. Der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin ist überzeugt, dass Apps im Gesundheitsbereich sehr hohen Qualitätsanforderungen gerecht werden müssen, um sich etablieren zu können.
Industrieunternehmen sind auf dem Vormarsch
Dass einzelne Ärzte amateurhaft Apps für die medizinische Versorgung entwickelt haben, lobt Dr. Müschenich. Für die Zukunft gibt er diesen Entwicklungen aber wenig Chancen. Diese werden sich angesichts der großen Konkurrenz nicht mehr durchsetzen können, ist er überzeugt. Denn während z.B. Pharma- oder Medizinprodukteunternehmen die Entwicklung von digitalen Produkten anfangs verschlafen hätten, seien sie jetzt auf dem Vormarsch, entwickelten selbst oder kauften auf.
Für die Zukunft sieht Dr. Müschenich auf dem Markt zwei Gründertypen: Betroffene, wie jene, die einst den Diabetesmanager MySgr ins Leben gerufen haben. Und Forscher, die außerhalb von Klinik und Praxis gute Medizin anbieten wollen. Er nennt als Beispiel M-sense, eine App gegen Migräne und Kopfschmerzen.
Wer eine App als Medizinprodukt anbieten will, sagt Dr. Müschenich, muss im Hintergrund ein hoch komplexes Computersystem vorhalten, das aktuelles medizinisches Wissen beinhaltet, inklusive der Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften und einem Algorithmus, der Krankheitsverläufe vorausberechnen kann. „Sie haben gewissermaßen die elektronische Variante eines Health Care Professionals, wobei die gleichen beruflichen Anforderungen gelten müssen wie in der Versorgung vor Ort.“
Schwierige Suche nach Kapitalgebern
Signalisiere beispielsweise eine Diabetes-App, dass der Patient aufgrund hoher Blutzuckerwerte ein besonderes Coaching brauche, dann müsse diese Aussage natürlich medizinisch haltbar sein. „Per App muss man das Versprechen einer guten Versorgung genauso einlösen, wie ein Arzt in der Praxis oder der Hersteller eines EGK-Geräts“, so Dr. Müschenich.
Der Digital-Health-Experte macht deutlich, dass ein solcher Anspruch hoher Investitionen bedarf. Eine App von einem Abiturienten oder einer Agentur entwickeln zu lassen, koste vielleicht bis zu 50 000 Euro. Um jedoch eine App als zertifiziertes Medizinprodukt erfolgreich auf dem Markt zu etablieren, seien Investitionen von mindestens zwei Millionen Euro nötig. Eingeschlossen sind darin die Kosten für Programmierer, Server, Raummiete, Anwaltsgebühren, aber auch die Gelder für eine begleitende Evaluation.
Die Entwicklung einer Medizinprodukte-App kann zudem Jahre dauern. Sie beginnt im Regelfall damit, dass sich Gründer in kleinen Teams zusammenfinden, recherchieren und einen einfachen Prototypen entwickeln. Dabei profitieren sie idealerweise von Förderprogrammen, beispielsweise von Universitäten.
Dann folgt die schwierige Suche nach Kapitalgebern. Spätestens hier, so erklärt Dr. Müschenich, sei auch die Gründung einer eigenen Firma nötig. Denn großzügige Geldgeber investierten meist nur in Firmen, an denen sie auch über Anteile profitieren könnten. „Schauen Sie sich kleine Plattformen an; bereits hier arbeiten 20 bis 50 Leute – da lässt sich abschätzen, was man monatlich mindestens an Geld braucht.“
Bundesinstitut unterstützt und berät Entwickler
- Das Innovationsbüro beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterstützt Entwickler bei der Zulassung und beim Inverkehrbringen ihrer Produkte.
- Es versteht seine Arbeit als Vorstufe zur bereits etablierten und sehr erfolgreichen wissenschaftlichen und verfahrenstechnischen Beratung. „Wir können Unternehmen helfen, Informationslücken zu schließen und frühzeitig die Weichen für regulatorische Prozesse richtig zu stellen“, erklärt dazu BfArM-Pressesprecher Maik Pommer. Ziel sei es, dass wirksame und sichere Innovationen den Patienten erreichten und nicht schon an vermeintlichen Hürden im Zulassungs- und Zertifizierungsbereich vor der Markteinführung scheiterten.
- Das Innovationsbüro bietet im Rahmen sog. Kick-off-Meetings, die per E-Mail beantragt werden können, einen informellen Austausch zum geplanten Produkt an sowie Kontakt zu BfArM-Experten. Die Beratung ist gebührenpflichtig.