Telemedizinische Hilfe für Fremde
Auf die „kalte Tour“, weil „die Not groß ist“, bahnt sich die Fernbehandlung persönlich nicht bekannter Patienten (also ohne vorherigen Arztkontakt) ihren Weg in unser Gesundheitssystem, stellt Dr. Franz Joseph Bartmann fest. Der Chef der Ärztekammer Schleswig-Holstein und Vorsitzende des Ausschusses Telematik der Bundesärztekammer (BÄK) zielte mit seiner Bemerkung bei einer Diskussionsrunde der Dresden International University auf das Konzeptpapier von KBV und Marburger Bund (MB) zur Reform der Notfallversorgung.
Körperschaft und Gewerkschaft schlagen u.a. vor:
- Instrumente und Strukturen zu entwickeln und einzurichten, mit denen „geeignete Fachkräfte“ beim telefonischen Erstkontakt eine Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit eines Patienten und der dafür erforderlichen Versorgungsform vornehmen können, sowie n
- die telefonische Beratung unter der Bereitschaftsdienstnummer 116 117 durch speziell fortgebildete Ärzte – in Abstimmung mit den Kammern – zu erproben
Notwendig seien dafür u.a. Anpassungen des Berufsrechts in puncto Fernbehandlung und gegebenenfalls des Haftungsrechts, um die „in der Notfallversorgung tätigen Fachkräfte (vor Ort als auch zum Beispiel in Telefonzentralen)“ abzusichern, so KBV und MB.
Verbot der Fernbehandlung scheint überholt
Telefonische Triagierung und Behandlung beim Erstkontakt gibt es in der Schweiz längst. Darum hat auch die Landesärztekammer Baden-Württemberg als erste deutsche Ärztekammer ihr Berufsrecht so weit liberalisiert, dass sie entsprechende „Fernbehandlungs“-Modellprojekte genehmigen und evaluieren kann.
Dr. Bartmann setzt sich bei der BÄK ebenfalls für eine „Modifikation des Fernbehandlungsverbots“ ein. So etwas wie das von KBV und MB angepeilte Notfallversorgungssystem müsse man offiziell erlauben „und nicht so tun, als wäre es die Ausnahme“. Sollte sich auf Bundesebene nichts bewegen, werde die Kammer in Schleswig-Holstein 2018 selbst aktiv, kündigte er an.
Öffnung des Berufsrechts? Ja, aber „bitte einheitlich“
Auch Dr. iur. Alexander Gruner, Leiter Rechtsabteilung der Sächsischen Landesärztekammer, ist für eine Öffnung des Berufsrechts – aber „bitte einheitlich“. Schon heute müsse jeder Arzt eine Behandlung nach dem Stand der Wissenschaft gewährleisten – Sorgfalt, Facharztstandard und Datenschutz gehörten dazu. Eine telemedizinische Betreuung lässt sich da einordnen.
Dass sich eine Kammer vorbehält, telemedizinische Konzepte zu prüfen und freizugeben, lehnt Dr. Gruner aber ab. „Da bin ich fast schon in der Amtshaftung, wenn etwas passiert.“
Allerdings werden in der Telemedizin bislang keine Bäume ausgerissen. Was in Verträgen zur Integrierten Versorgung als gefördertes Projekt funktioniert, hat es als Teil der Regelversorgung schwer. Dr. Bartmann sieht einen wesentlichen Grund dafür in der unattraktiven Vergütung. Doch auch der Staat, etwa die für die Krankenhausinvestitionen zuständigen Bundesländer, tue in Sachen digitale Infrastruktur zu wenig. Dass es auch anders geht, zeigen zum Beispiel Dänemark, Estland und Österreich.
Dennoch erwarten Ärzte wie Dr. Bartmann oder der Leipziger Allgemeinarzt und Vorsitzende des Hartmannbundes Sachsen, Dr. Thomas Lipp, von der Digitalisierung starke Auswirkungen auf den Medizinerberuf. So lasse sich zum Beispiel ein Großteil dermatologischer Fälle mit einer App diagnostizieren, sagte Dr. Lipp.
Das Datensammeln und -analysieren – nicht nur von Blutdruck- und Blutzuckerwerten – werde in den nächsten Jahren zunehmen. „Wir werden nicht überflüssig“, meinte er, doch eine künftige Aufgabe bestehe wohl darin, die Patienten durch den „Dschungel“ an Informationen zu führen.