Bewegung in der Pandemie Ärzte fungieren als Vorbilder
Herr Dr. Behrens, wie beschreiben Sie das Bewegungs- und Sportverhalten der Bundesbürgerinnen und -bürger in der Pandemie?
Dr. Meinolf Behrens: Das Bewegungsverhalten ist auf jeden Fall zurückgegangen. Globale Umfragen zeigen, dass die körperliche Aktivität um etwa 20 % zurückgegangen ist. Die Sitzzeiten haben sich um etwa 28 % verlängert.
Aber man muss das Ganze etwas differenzierter sehen: Wenn man genau hinschaut, dann sind es eher die Inaktiven, die inaktiver geworden sind – und die vorher Aktiven haben die frei werdende Zeit genutzt für mehr Aktivität. Speziell für Menschen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes muss man sagen, dass Angst und Stress zugenommen haben und der Bewegungsumfang reduziert wurde.
Hat sich auch das Körpergewicht der Bürger/innen verändert, haben Sie konkrete Zahlen?
Dr. Behrens: Harte Zahlen kann ich nicht nennen. Aber aus der eigenen Erfahrung kann ich wirklich sagen, dass die Patienten im Schnitt deutlich zugenommen haben.
Was können Sie als Arzt, was können Therapeutinnen und Therapeuten gerade jetzt beitragen zu einem gesunden Bewegungsverhalten?
Dr. Behrens: So paradox, wie es sich anhört: Ganz aktuell bezogen auf die Pandemie ist es wichtig, die Patienten in die Praxis zurückzuholen, die wir in diesen Zeiten wenig oder nicht sehen, nicht behandeln! Gerade bei Patienten, die Termine absagen, sollten wir uns nicht damit abgeben, uns zu sagen: Es ist jetzt halt Pandemie ...
Und dann ist es natürlich wichtig, dass wir Ärzte die Bewegung immer thematisieren und unseren Patienten konkrete Bewegungsangebote machen. Idealerweise bildet die Praxis ein Netzwerk, sozusagen einen Katalysator für Bewegung.
Gibt es hier moderne Hilfsmittel, die Erfolg versprechen?
Dr. Behrens: Ja, die Digitalisierung bietet durchaus Chancen für mehr Bewegung: mit Apps und jetzt neu den Digitalen Gesundheitsanwendungen, die ja zulasten der Krankenkassen verordnet werden können. Auch Wearables bieten als Instrumente die Chance, Bewegung anders darzustellen. Bei Kindern verspricht das Exergaming (Computerspiele, die zu Bewegung auffordern, Anm. d. Red.) durchaus neue Chancen, da gibt es sehr schöne Zahlen, dass das Bewegungsverhalten hierdurch gesteigert werden kann. Ebenso internetbasiertes Tracking von Bewegung, womit zum Beispiel in Gruppen ein gewisser Wettbewerb initiiert werden kann. Auch Internet- und Fitness-Portale kann man gut nutzen.
Die Digitalisierung bietet also durchaus Chancen. Problem ist leider, dass auch diese Chancen wieder von denen genutzt werden, die sich auch so schon mehr bewegen. Der Unbewegte lässt sich leider auch von diesen Angeboten oft nicht so inspirieren.
Wurden auf der Diabetes Herbsttagung neue Projekte diskutiert, die Erfolg versprechen hinsichtlich mehr Bewegung?
Dr. Behrens: Die Arbeitsgemeinschaft Diabetes, Sport & Bewegung der DDG ist seit mehr als 20 Jahren bemüht, immer Projekte in die Praxis zu holen. Wir haben ein tolles Projekt ins Leben gerufen: „Praxis in Bewegung“. Es geht darum, über eine Teambuilding-Maßnahme innerhalb der Praxis Netzwerkstrukturen für Bewegung zu schaffen.
Haben Sie einen Ratschlag für Kolleginnen und Kollegen?
Dr. Behrens: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir uns selbst nicht ganz aus den Augen verlieren. Gerade die Coronazeit ist für viele Kolleginnen und Kollegen in Praxen und Kliniken sehr anstrengend. Wir sollten unsere eigene Bewegung hierüber nicht vergessen. Und nur wenn wir als Vorbilder fungieren, werden unsere Patienten uns das letztlich auch abnehmen.
Bewegter Praxisablauf
Medical-Tribune-Interview zur 15. Diabetes Herbsttagung der DDG und DAG (Deutsche Diabetes Gesellschaft, Deutsche Adipositas Gesellschaft)