Doktortitel „Brennen“ für die Wissenschaft

Praxismanagement , Team Autor: Cornelia Kolbeck

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Herr Doktor, Frau Doktor – über Jahrzehnte flößte der akademische Titel in der Bevölkerung Respekt ein. Aber welchen Wert hat heute eine erfolgreiche Promotion? Lohnt es sich, dafür die Familienplanung zu vernachlässigen und mit finanziellen Einbußen zu leben?

Wissenschaftlich zu arbeiten heißt: den Forschungsstand kennen, beschreiben und überschreiten, nicht aber zusammenzuschreiben, was bereits irgendwo steht“, bringt Dr. Volker Ladenthin, Professor der Erziehungswissenschaften an der Universität Bonn und Autor der Zeitschrift „Forschung und Lehre“, das Promovieren auf den Punkt. 

Er beschreibt auch, wer promovieren sollte und wer nicht. Es gebe die Gruppe jener, die sich überschätzten und die Qualitätsansprüche heutiger Promotionen gewaltig unterschätzten. Andere wiederum würden nicht für ein Thema „brennen“ und versuchen, mit wenig Aufwand zu promovieren („Für die Note interessiert sich später niemand!“). Ohne dieses Brennen entstehe aber nur Mittelmaß. Und dann gebe es die Gruppe der Vorsichtigen, der Behutsamen, der Selbstkritischen, die sich gar nicht erst bewerben. Sie stellten Ansprüche an sich und ihre Arbeit, die nicht erfüllt werden könnten – „und weil man es ahnt, bemüht man sich erst gar nicht um eine Promotion – aus Selbstzweifel“.

Zur Promotion sollte sich seiner Ansicht nach nur entschließen:

  • wer bemerkt, dass ihm die vorhandene Forschung (zum Thema) korrekturbedürftig erscheint
  • wer auf eine empfindliche Forschungslücke stößt
  • wer meint, er kann es besser
  • wer auf Mängel gestoßen ist, die er beheben will
  • wer überzeugt ist, dass er etwas zu sagen hat, was nicht gesagt wurde

Prof. Ladenthin rät zugleich, sich sehr genau über Chancen und weitere Wege im Beruf zu informieren: „Es ist leider nicht mehr so, dass man eine gelungene Dissertation vorweist und damit seinen Ruf begründet.“ Wichtig sind aus seiner Sicht das Netzwerken, die Kontaktpflege, die Arbeit mit Stiftungen und Einrichtungen, der Besuch von Kongressen.

Eine Promotion sollte auch nur als eine Etappe im Berufsleben verstanden werden, nicht als Ziel. Und es ist aus Sicht Prof. Ladenthins wichtig, mit Selbstbewusstsein widersprechen zu können. Im Grunde erwarte man als Betreuer, dass der Doktorand sich wehrt und sagt: „Ich bleibe dabei, denn ich habe das aus diesem und jenem Grund so geschrieben. Ich werde das noch einmal und dann so klar schreiben, dass Sie überzeugt sind!“ Durch Gespräch entstehe Wissenschaft. „Achte auf die Mehrheitsmeinung, die Political Correctness, gehorche, sei vorsichtig, wage dich nicht zu weit vor“ – diese Aussage sei korrekt, aber mutlos.

Entscheidend für einen dauerhaft geltenden Doktortitel ist die Bereitschaft zum eigenen schöpferischen Werk. Das Kopieren von Aussagen anderer ohne Markieren der Quelle in einer Dissertation hat schon so manchen seinen Doktortitel gekostet. In den Hochschulgesetzen sowie in den Studien- und Promotionsverordnungen der Universitäten ist definiert, wann der Doktorgrad aberkannt werden kann. Wer täuscht, fremdes Wissen oder fremde Arbeit als eigene Leistung ausgibt, bewegt sich auf dünnem Eis. 

In Promotionsverfahren

Im Jahr 2022 befanden sich an den Hochschulen in Deutschland 205.300 Personen in einem laufenden Promotionsverfahren. Der Frauenanteil lag bei 48%, der Männeranteil bei 52 %. Das Durchschnittsalter der Promovierenden betrug 30,3 Jahre, bei männlichen Promovierenden lag es mit 30,7 Jahren fast ein Jahr höher als das von weiblichen Promovierenden mit 29,9 Jahren. 48.100 Promovierende (23%) hatten eine ausländische Staatsangehörigkeit. Gut 54.000 Personen strebten ihren Doktorgrad in der Fächergruppe Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften an.

Quelle: Statistisches Bundesamt

Dr. med. im internationalen Vergleich weniger geschätzt

Zahlreichen Politikern wurde schon wegen Fehlverhaltens der Doktortitel aberkannt. Aber auch wissenschaftliche Arbeiten von weniger Bekannten werden von Plagiatssuchern durchleuchtet, mit entsprechenden Konsequenzen. 2017 wurde z.B. acht Medizinern seitens der Universität Münster die Doktorwürde entzogen, 2024 traf es eine Pharmamanagerin. Wer mehr wissen will, findet bei Wikipedia/VroniPlag reichlich Lesestoff.

Der Doktorwürde an sich hat das Fehlverhalten Einzelner allerdings keinen Abbruch getan. Auch, dass – wie die KBV bemerkt – wegen der nicht immer optimalen Betreuung durch Doktormutter oder -vater der deutsche „Dr. med.“ im internationalen Vergleich weniger geschätzt wird, scheint keine Rolle zu spielen.  

Das Interesse an der Promotion ist wie gesagt stetig groß. Laut Statistischem Bundesamt werden hierzulande jährlich 27.000 bis 30.000 Doktortitel vergeben, Tendenz steigend. 1993 erhielten 21.000 Absolventen ihre Promotion, 2022 27.700. Die Medizin ist der Bereich mit den meisten Promotionen. 6.800 erfolgreich verteidigte Arbeiten waren es im Schnitt der Jahre 2019 bis 2021. 

Allerdings fragen sich junge Medizinerinnen und Mediziner nach wie vor, wie die Promotion zeitlich zu schaffen ist. Deutsche Studierende, die sich beispielsweise für internationale Förderprogramme bewerben, müssen laut KBV zusätzliche Qualifikationen mitbringen, mehr Veröffentlichungen nachweisen. 

Auch die Familienplanung ist bei einer Entscheidung pro oder kontra Doktortitel ein Kriterium. Das Durchschnittsalter der 2022 erstmalig registrierten Promovierenden betrug 26,9 Jahre. Ist schwanger werden jetzt ein guter Zeitpunkt?, fragt eine Promotionswillige auf Twitter/X. Wie selbstverständlich wird ihr das Social Freezing angeraten, das Einfrieren von Eizellen. Kann ich mir nicht leisten, lautet die Antwort der jungen Frau. 

Viele Doktoranden und Doktorandinnen nehmen eine Teilzeitstelle an einer wissenschaftlichen Einrichtung an, um ihr finanzielles Einkommen während ihrer Doktorarbeit zu sichern. Da berufsbegleitende Promotionen in der Regel von privaten Hochschulen angeboten würden, könnten Studiengebühren von bis zu 30.000 Euro anfallen – zuzüglich Kosten für Reisen und Unterkünfte, heißt es bei academics.de

Zeit ist ebenfalls ein zu berücksichtigender Faktor. Über alle Wissenschaftsbereiche hinweg promovieren laut einer Untersuchung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Doktorandinnen und Doktoranden, die in derselben Region in Deutschland ihren Hochschulabschluss erworben haben, in durchschnittlich 52 Monaten. An außeruniversitären Einrichtungen sind es 61 Monate. Einfluss auf den Zeitraum hat u. a., ob die Doktorarbeit in Vollzeit oder berufsbegleitend geschrieben wird. 

Die Frage, ob man promovieren will, hängt weiterhin vom erwarteten Nutzen ab. Der Hartmannbund hat 2016/17 Medizinstudierende und Assistenzärzte zum „Dr. med.“ befragt. 36 % der Studierenden und 60 % der Assistenzärzte sahen in der Erlangung der medizinischen Promotion für ihre spätere ärztliche Tätigkeit „keinen Nutzen“. Allerdings meinte die Mehrheit der Assistenzärzte, dass der Doktortitel Einfluss darauf habe, wie sie als Ärzte von ihren Patienten wahrgenommen werden. Der Titel „gehört einfach zum Arztberuf dazu“, so die Mehrheitsmeinung. Zugleich gaben die Befragten ihrer Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten nur die Note fünf bis sechs. Und 68 % der Doktoranden bewerteten ihre Fakultäten mit drei bis fünf.

Im Rahmen ihrer Lass-dich-nieder-Kampagne bemerkt die Kassenärztliche Bundesvereinigung: „Für die Niederlassung ist der Dr. med. nicht erforderlich. Und auch nicht für eine volle Praxis.“ Denn für die Patienten scheine es wichtigere Qualitätsmerkmale zu geben, die eine gute Ärztin und einen guten Arzt ausmachen. Allerdings bemerkt die KBV auch: „Wenn du in die medizinische Forschung gehen möchtest und du dir eine Karriere als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler vorstellen kannst, geht es nicht ohne Titel.“ 

Medical-Tribune-Bericht