Leichenschau nach Plan Neue Stufenstrategie sorgt für Sicherheit bei einer unliebsamen Aufgabe

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Rechtsmediziner empfehlen Hausärzt:innen zur Todesfeststellung und Leichenschau ein systematisches Vorgehen in 14 Schritten. Rechtsmediziner empfehlen Hausärzt:innen zur Todesfeststellung und Leichenschau ein systematisches Vorgehen in 14 Schritten. © DOC RABE Media – stock.adobe.com

Hausärzte müssen sich nicht nur um die Lebenden kümmern: Auch Todesfeststellung und Leichenschau gehören zu ihren Pflichten. Damit nichts vergessen oder falsch eingeschätzt wird, empfehlen Rechtsmediziner ein systematisches Vorgehen in 14 Schritten.

Schritt 1

Die primäre und wichtigste Maßnahme ist die Feststellung des Todes. Diese ist relativ einfach, wenn sichere Zeichen oder „nicht mit dem Leben vereinbare Verletzungen“ vorliegen. Eine besondere Bedeutung haben die Totenflecke (s. Abb. unten). Sie bilden sich im Nacken bereits nach rund 20–30 Minuten aus. Um sie zu erkennen, wird der Leichnam aus einer eventuellen Rückenlage gewendet und die Haut sorgfältig inspiziert.

Die Totenstarre sollte stets an mehreren großen und kleinen Gelenken überprüft werden. Falls sichere Merkmale des Ablebens fehlen, ist Vorsicht geboten: Eine erfolgreiche Reanimation könnte immer noch möglich sein, betonen Prof. Dr. ­Britta ­Bockholdt und Kollegen von der Universitätsmedizin Greifswald.

Schritt 2

Vor der Leichenschau muss der Arzt Informationen zur Auffindungssituation, zur Anamnese und möglichen Einwirkungen bzw. Vor­erkrankungen erfragen. Manchmal ergeben sich daraus bereits Hinweise auf die Todesursache, z.B. wenn ein Alkohol- oder Drogenmissbrauch vorlag.

Sterbenachweis unter Reanimation

Den Tod während der Reanimation festzustellen ist möglich, wenn Folgendes zutrifft: Wiederbelebungsmaßnahmen scheitern, es besteht eine Normothermie, reversible Ursachen für den Kreislaufstillstand liegen nicht vor. Weitere Versuche dürfen dann eingestellt werden. Zu beachten ist, dass unterkühlte, ertrunkene und intoxi­kierte Patienten mehr Zeit für die Reanimation benötigen. Auch der standardisiert festgestellte Hirntod ist ein sicheres Zeichen des Ablebens.

Schritt 3

Weitere Anhaltspunkte resultieren  möglicherweise aus der Inspektion der direkten Umgebung des Toten. So ist die Kombination von einem im Bett liegenden Leichnam und einem offensichtlich im Zimmer betrie­benen Grill ein potenzieller Hinweis auf einen Erstickungstod.

Schritt 4 

Der Leichnam ist im vollständig entkleideten Zustand zu untersuchen. Dafür muss häufig die Totenstarre überwunden werden, was unter Umständen viel Kraft erfordert. Zu Frakturen oder anderen groben Zerstörungen kann es dabei aber nicht kommen. Die Examination selbst beginnt mit der Suche nach Verletzungen im Gesicht und an der Kopfhaut. Außerdem muss der knöcherne Schädel sorgfältig abgetastet werden.

Schritt 5

Besonders relevant ist die Inspektion von Konjunktiven, Lid- und Mundschleimhaut auf Petechien und Verletzungen. Dazu wird eine anatomische Pinzette parallel zum Lidrand angelegt und das Lid durch Zug und Drehung ektropioniert (s. Abb. oben). Petechien im Gesichtsbereich sprechen für einen Tod durch Hals- oder Thoraxkompression. 

Schritt 6

Als Nächstes ist die Haut des Halses auf Verletzungen zu kontrollieren, darunter Kratzer, Punktionsstellen oder Unterblutungen. Für eine bessere Sicht empfiehlt es sich, den Kopf nach rechts und links zu drehen und zu überstrecken.

Natürlicher Tod oder nicht?

Der natürliche Tod ist Folge einer inneren Erkrankung. Er tritt unabhängig von rechtlich relevanten äußeren Einwirkungen auf. Im Gegensatz dazu ereignet sich ein nicht natürlicher Tod aufgrund eines von außen verursachten, ausgelösten oder beeinflussten Geschehens.

Schritt 7

Es folgt die Untersuchung der Stammvorderseite auf Verletzungen und andere Auffälligkeiten. Dafür wird die Haut genau betrachtet und der Thorax mit kräftigem Druck vorn und seitlich auf eine etwaige pathologische Beweglichkeit (Krepitation) abgetastet. Harmlos, aber eventuell erschreckend, ist dabei der sogenannte Leichenlaut. Dieser entsteht, wenn Luft durch die Stimmritzen gedrückt wird. Genital- und Afterregion sind äußerlich ebenfalls zu inspizieren (Fremdkörper, Verletzungen?).

Schritt 8

Anschließend werden die oberen Extremitäten auf abnorme Beweglichkeit, Läsionen und Anzeichen für eine erfolgte Punk­tion kontrolliert. Strommarken an den Händen sind z.B. ein Anhaltspunkt für einen nicht natürlich eingetretenen Tod.

Schritt 9

Die Beine werden durch Inspektion und Bewegen geprüft. Dabei ist auf eine ungewöhnliche Beweglichkeit sowie Längen- und Umfangsdifferenzen zwischen rechter und linker Seite zu achten. Auch Durchblutungsstörungen, Varizen und Verletzungen können relevante Hinweise auf die Todesursache geben.

Schritt 10

Um die Körperrückseite begutachten zu können, muss der Leichnam ggf. gedreht werden. Neben dem Abtasten des knöchernen Thorax mit kräftigen Griffen erfolgt eine sorgfältige Inspektion von Hinterkopf und Nacken. Bei der Kontrolle der Analregion ist auf Fremdkörper und Hinweise auf Teerstuhl zu achten, es erfolgt jedoch keine digitale rektale Untersuchung. Abschließend ist noch einmal zu prüfen, ob der Leichnam wirklich vollständig entkleidet war und sämtliche Körperöffnungen (Mund, Nase, äußerer Gehörgang, Genitale, Afterregion) kontrolliert wurden.

Schritt 11

Während der Leichenschau ist zu jedem Zeitpunkt zu überlegen, ob Anhaltspunkte für eine ungeklärte Todesart vorliegen (Unfall, Suizid, strafbare Handlung). Wenn ja, ist die Untersuchung abzubrechen und die Polizei zu informieren, was bei jeder Dienststelle erfolgen kann.

Falls ein ärztlicher Behandlungsfehler nicht auszuschließen ist, kann eine nicht natürliche Todesart dokumentiert werden. In manchen Bundesländern ist auch die Angabe einer ungeklärten Todesart möglich. Dann muss die Polizei ebenfalls in Kenntnis gesetzt werden. Diese Angabe soll erfolgen, wenn der Arzt nicht feststellen kann, ob ein natürlicher oder nicht natürlicher Tod vorliegt.

Schritt 12

Sich auf eine Todesursache festzulegen ist schwierig, vor allem, wenn nur spärliche Anhaltspunkte vorliegen. Zu benennen sind die medizinischen Sachverhalte, die als Auslöser des Versterbens anzusehen sind. Als Grundleiden gilt dabei die Krankheit oder Verletzung, die den Ablauf der direkt zum Tod führenden Störungen auslöste. Eine Kausalkette könnte z.B. akuter Myo­kardinfarkt bei hochgradiger Koronarstenose aufgrund generalisierter Arteriosklerose lauten, erläutern Prof. Bockholdt und Kollegen. HerzKreislauf- und Atemstillstand oder andere funktionelle Endzustände sind dagegen keine Erkrankung und damit auch keine Todesursache. 

Schritt 13

Die Festlegung der Todeszeit kann bei aufgefundenen Leichen schwierig sein. Erscheint diese von Bedeutung, plädieren die Autoren dafür, über die Polizei eine rechtsmedizinische Untersuchung zu beantragen. Ist der Todestag bekannt, nicht aber die Stunde, kann man „zwischen X und Y Uhr“ oder „zu unbekannter Uhrzeit“ angeben. Bei unklarem Todestag kann der mögliche Zeitraum eingetragen werden. 

Schritt 14

Nach dem vollständigen Ausfüllen der Todesbescheinigung sollte man nochmals prüfen, ob Meldepflichten vorliegen. Diese bestehen bei nicht natürlicher oder ungeklärter Todesart und bei unbekannter Identität des Leichnams. Sie können aber auch im Fall einer Berufskrankheit oder einer eventuellen übertragbaren Infektion gegeben sein. Die Todesbescheinigung wird dem Bestattungspflichtigen übergeben. Bei nicht natürlicher oder unklarer Ursache des Ablebens sowie bei unbekannter Identität des Toten sind die Ergebnisse mit der Polizei zu besprechen. Bis zu deren Eintreffen darf der Fundort nicht verändert werden.

Quelle: Bockholdt B, Philipp KP, Dokter M „Die ärztliche Leichenschau – Schritt für Schritt“, Dtsch Med Wochenschr 2023; 148: 703-710; DOI: 10.1055/a-1991-0267 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart, New York