Die Leichenschau vor Feuerbestattungen muss verbessert werden
Während der Krematoriumsleichenschau prüft der verantwortliche Mediziner in einer erneuten kompletten Untersuchung, ob die im Totenschein angegebenen Informationen plausibel sind. Ist das nicht der Fall oder findet er dabei bislang nicht dokumentierte Hinweise für einen nicht-natürlichen Tod, heißt es erstmal Stopp. Die Leiche wird „angehalten“, also zunächst nicht für die Feuerbestattung freigegeben, schreiben Dr. Ann Sophie Schröder und Professor Dr. Klaus Püschel vom Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Einheitlich festgelegte Kriterien existieren nicht
Oftmals lassen sich scheinbare Widersprüche klären, wenn man sie mit dem zuletzt behandelnden Arzt und/oder dem vorherigen Leichenschauer bespricht. Dann geht es weiter wie geplant. Bleiben jedoch Fragen offen, muss der Arzt die regionale Kriminalpolizei und dadurch die Staatsanwaltschaft über den Todesfall informieren. Dazu kommt es in 0,5–2 % der Untersuchungen.
Einheitlich festgelegte Gründe, die Verbrennung vorläufig zu stoppen, existieren nicht; hier sollte der Gesetzgeber nacharbeiten, finden die Experten. Die Hamburger nennen Beispiele, bei denen sie die Augenbrauen hochziehen:
- Anzeichen äußerer Gewalteinwirkung, die möglicherweise mit dem Tod zusammenhängen, z.B. Stauungsblutungen und gleichzeitige Abschürfungen am Hals oder Hämatome bzw. Frakturen, die sich nicht nachvollziehen lassen.
- Hinweise für Intoxikationen, wie massenhaft aufgeklebte opioidhaltige Schmerzpflaster oder Injektionsmale an medizinisch untypischen Stellen. Hellrote Totenflecke wecken den Verdacht auf eine Kohlenmonoxidvergiftung. Cave: Teils livide, teils hellrote Totenflecken entstehen natürlicherweise, wenn der Tote aus dem Kühlraum wieder in normale Umgebungstemperaturen kommt.
- Hinweise auf einen Suizid, wie frische, selbst zugefügte Verletzungen, für die der Totenschein keine logische Erklärung bietet.
- Zeichen auf medizinische Behandlungsfehler, z.B. einer vor Kurzem durchgeführten OP, die in der Todesbescheinigung nicht (ausreichend) erläutert sind.
- Verdacht auf Pflegefehler – z.B. abgemagerter Toter mit ausgedehntem Dekubitus.
- Spättodesfolgen nach oben genannten Punkten (diese werden häufig im Totenschein nicht berücksichtigt).
Tatsächlich findet der Leichenschauer eher selten Gründe, die Kremierung aufzuhalten – nur in bis zu jedem zwanzigsten Fall. Wenn doch, sind vor allem nicht dokumentierte Verletzungen und mögliche Behandlungsfehler die Ursache.
Digitale Bescheinigungen zwingen zur Vollständigkeit
In Mecklenburg waren laut einer Analyse von 10 000 Todesfällen sogar 98 % der Totenscheine fehlerhaft. Diese Irrtümer wirken sich auch auf die Todesursachenstatistik aus, die auf diesen Angaben beruht.
Jedoch geben inhaltliche und formelle Fehler, die Untersuchungen zufolge bei mehr als jedem fünften Gutachten vorkommen, nicht immer Anlass zum Nachforschen. Insgesamt erfolgt nur bei etwa jeder 100. Krematoriumsleichenschau letztlich eine gerichtliche Obduktion – viel zu wenig, finden die Autoren. Zum einen lässt die Qualitätskontrolle dadurch zu wünschen übrig. Zum anderen werden jedes Jahr schätzungsweise 1200 Tötungsdelikte übersehen.
Genug Gründe für Veränderungen, finden die Hamburger Rechtsmediziner. Beispielsweise sollte eine gewisse Anzahl von angeleiteten Leichenschauen zur Facharztausbildung von Klinikern gehören, schlagen sie vor. Auch die Kommunikation zwischen den Leichenschauern lässt sich optimieren. Ebenso können postmortal Untersuchungen wie CT oder MRT diagnostische Aufschlüsse bieten, genau wie umfangreichere chemisch-toxikologische Untersuchungen von Blut, Gewebe oder Haaren des Toten. Und schließlich könnten digitale Todesbescheinigungen, die das Überspringen bestimmter Felder nicht zulassen, zumindest vollständige Totenscheine garantieren und vielleicht auch Angaben wie „Herzstillstand“ als Todesursache verhindern.
Quelle: Schröder AS, Püschel K. Bundesgesundheitsbl 2019; 62: 1438-1445; DOI: 10.1007/s00103-019-03047-0