Orthopäden verordnen häufiger Röntgen bei Rückenschmerzen als Hausärzte
Einerseits werde zu viel bildgebende Diagnostik durchgeführt, insbesondere bei fehlenden Hinweisen auf eine spezifische Schmerzursache, so die Studienautoren. Andererseits würden die Ärzte die Patienten nicht immer ausreichend über falsche Erwartungen und den Nutzen diagnostischer Maßnahmen aufklären.
Die Untersuchung stellt auch regionale Unterschiede bei der Verordnung von bildgebenden Verfahren fest. Sie stützt sich auf anonymisierten Routinedaten aus dem Jahr 2015 von mehr als sieben Mio. Versicherten von rund 70 gesetzlichen Krankenversicherungen.
Etwa jeder fünfte Versicherte begibt sich der Analyse zufolge mindestens einmal im Jahr aufgrund von Rückenschmerzen in ärztliche Behandlung. Viele Patienten erhielten frühzeitig eine Bildgebung, 22 % mit neu aufgetretenen Rückenschmerzen bereits im Quartal der Erstdiagnose. "Dies ist aufgrund der Strahlenbelastung kritisch zu hinterfragen", lautet ein Fazit der Studie.
Patienten glauben, Ursache des Schmerzes sei zu sehen
2015 hätten Ärzte insgesamt über sechs Millionen Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen vom Rücken veranlasst. Orthopäden würden konventionelle Röntgenaufnahmen dabei etwa 3,5-mal häufiger verordnen als Hausärzte. Ähnliche Ergebnisse fänden sich auch für CT und MRT.
Bei weniger als der Hälfte der Patienten mit frühzeitiger Bildgebung nach einer Rückenschmerz-Erstdiagnose sei zuvor ein konservativer Therapieversuch unternommen worden, heißt es in der Studie. Der Vergleich zu den Vorjahren zeigt zudem, dass zwischen 2009 und 2015 die Häufigkeit von Röntgenuntersuchungen und CT ab und die von MRT zugenommen hat.
Die Untersuchung ergab darüber hinaus, dass 60 % der befragten Patienten möglichst schnell eine bildgebende Untersuchung erwarten. 69 % sind der Meinung, dass dadurch die genaue Ursache des Schmerzes gefunden wird.
Ärzte folgen in der Therapie oft nicht den Leitlinien
Den Autoren der Studie zufolge trifft dies aber nicht zu. Bei höchstens 15 % der Betroffenen sei eine spezifische Ursache für den Schmerz feststellbar. Die meisten Bilder verbesserten somit oft weder die Diagnose noch die Behandlung. Sie kritisieren ferner, dass Ärzte die falschen Erwartungen der Patienten häufig nicht korrigieren würden.
Die Bertelsmann Stiftung kritisiert auch, dass viele Ärzte nicht immer leitliniengerecht vorgehen würden. So würden 43 % der Ärzte den Betroffenen beispielsweise entgegen der wissenschaftlichen Empfehlungen zu Ruhe und Schonung raten. Zudem verstärkten Ärzte oft das Krankheitsgefühl der Betroffenen, anstatt sie zu beruhigen. 47 % der Betroffenen werde vermittelt, dass der Rücken "kaputt" oder "abgenutzt" sei. „Ärzte müssen als Experten falsche Kenntnisse und Erwartungen von Patienten korrigieren“, meint Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.
Die Studie förderte ebenfalls zutage, dass die Raten für eine Bildgebung im Osten Deutschlands (mit Ausnahme von Berlin) zehn bis 20 % niedriger liegen als im Bundesdurchschnitt (siehe Abb.). Auch zeige die Verteilung der Zahl von MRT-Aufnahmen regionale Häufungen z.B. um Hamburg und München herum oder in der Rhein-Neckar-Region. Die unterschiedliche Verfügbarkeit von MRT-Geräten könnte hierbei eine Rolle spielen, vermuten die Studienautoren.
DGOU wehrt sich gegen die Bertelsmann-Vorwürfe
Es sei sehr problematisch, aus Krankenkassen-Routinedaten herauslesen zu wollen, dass bei Rückenschmerzen zu viel geröntgt werde, kommentierte der stellvertretende Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, Professor Dr. Bernd Kladny, die Studie. "Der Verdacht auf spezifischen Kreuzschmerz führt zur Veranlassung einer Bildgebung, in der sich dieser Verdacht vielfach nicht bestätigt", so Prof. Kladny. Ärzte hätten diese Bildgebung zum Beweis oder Ausschluss der Erkrankung durchgeführt. Verschlüsselt werde anschließend aber nicht der Verdacht, der zur Bildgebung führte, sondern die Diagnose "nicht spezifischer Kreuzschmerz", wenn in der Bildgebung eine ernsthafte Ursache ausgeschlossen werden konnte, so der Chefarzt.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht