Versorgung von trans Personen „Sie erfahren oft viel Ablehnung“
Auch wenn man den Eindruck haben könnte: Dass es heute mehr Personen gibt, die sich zu ihrer Transidentität bekennen, liegt nicht an einer gestiegenen Zahl von Personen mit diesem Merkmal. Wahrscheinlicher ist, dass das Themenfeld sichtbarer geworden ist, weil „diese Menschen heute glücklicherweise die Chance haben, sich mit der Thematik zu öffnen und ein inneres wie äußeres Coming-out zu vollzuziehen.“ So schätzt es Hausarzt Dr. Christian Wichers aus Hannover ein.
Mehr als 100 Menschen hat Dr. Wichers in den letzten Jahren auf ihrem Transitionsweg und danach als Hausarzt begleitet. Einer von 400, besagen die Statistiken für Deutschland, setzt sich irgendwann ernsthaft mit dem Thema Transgeschlechtlichkeit und Transition auseinander. Und ein bis zwei davon landen jede Woche als Neupatient:innen in der Praxis von Dr. Wichers.
Wer mit einer Geschlechtsinkongruenz in die Hausarztpraxis kommt, sucht dort in der Regel zwei Dinge: einen sensiblen Umgang mit der eigenen Problematik und Kompetenz und Erfahrung in der Begleitung auf dem Transitionsweg. Viele kommen auf Empfehlung anderer Patient:innen, die berichten, dass die Praxis Wert auf einen diskriminierungsfreien Umgang legt und sich in der Thematik auskennt.
Manche kommen mit 50, andere schon mit 15 Jahren
Die Ratsuchenden seien oft schon gut zu ihrem Thema informiert, erzählt Dr. Wichers, aus dem Internet oder aus Selbsthilfegruppen. „Typisch“ seien die Fälle aber nie, sondern immer sehr individuell. Er habe Patient:innen gehabt, die überglücklich waren, dass sie sich noch jenseits der 40 oder 50 als trans outen konnten – nachdem sie vorher Jahrzehnte lang das Gefühl hatten, dass etwas nicht stimmt.
„Und manchmal kommen natürlich auch ganz junge Menschen, noch in Begleitung ihrer Eltern“, sagt Dr. Wichers und erzählt von einer 15-Jährigen, die er seit sieben Jahren bei bzw. nach ihrer Transition begleitet. Diese Entscheidung sei früh gefallen. „Aber die Fragestellungen werden natürlich mit der Pubertät relevant.“ Denn dann würde gegebenenfalls die ablehnende Haltung gegenüber dem eigenen Körper entstehen und das Unverständnis wachsen, was mit einem „anders ist“. Dieser Weg müsse dann möglichst früh begleitet werden, sagt Dr. Wichers. „Und das ist meine Hauptrolle als Hausarzt. Ich übernehme nicht die klassisch therapeutischen und behandelnden Maßnahmen, sondern ich begleite und ergänze.“
Voraussetzung, um vertrauensvoll in ein Gespräch zu kommen, sei ein transsensibler Umgang. „Die Angst bei diesen Menschen ist groß und sie erfahren viel Ablehnung in der Gesellschaft – auch im Gesundheitswesen.“ Gründe dafür seien oft Unverständnis, Vorbehalte und Ängste. „Diese Menschen können sich deswegen nur schwer öffnen und sind dann froh, wenn sie in meiner Praxis schon von meinen Mitarbeiterinnen am Empfang gefragt werden, wie sie angesprochen werden möchten.“
Zu den Herausforderungen für den Hausarzt gehört es, dass die Behandlung von trans Personen zeitintensiv ist. „Das betrifft aber nicht nur diese Diagnose. Es gibt auch andere Kontaktanlässe, bei denen ich nicht auf die Uhr gucken kann.“ Es sei natürlich problematisch, dass das Gesundheitssystem mit Budgets arbeite. „Ich habe das zeitlebens als schwierig empfunden. Ich wollte mich aber nie davon gängeln lassen.“
Nicht immer gelingt es dem Hausarzt, die Zeit an anderer Stelle wieder reinzuholen. Dann engagiert er sich manchmal auch ohne Gegenleistung. „Mich bereichert die Arbeit. Ich merke, wie ich helfen kann und wie dankbar die Menschen für die Orientierung und die Unterstützung sind.“
Denn diese zu finden, ist oft nicht leicht: Gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen müssen Betroffene meist weit reisen, um eine gute Versorgung zu finden. „Endokrinologische Schwerpunktpraxen finden Sie eigentlich nur in den Großstädten. Und Psychotherapeuten sind oft nicht entsprechend ausgebildet, haben manchmal auch Berührungsängste und fühlen sich nicht kompetent genug, wenn sie am Ende die Diagnose sichern sollen.“ Da bedürfe es unbedingt eine Weiterentwicklung der Weiterbildung.
Facharztversorgung ist meist nur initial notwendig
Aber auch Hausärzt:innen könnten in der Versorgung von trans Personen eine größere Rolle spielen. Natürlich müsse es gerade anfangs eine fachärztliche Mitbehandlung geben, sagt Dr. Wichers. Aber z.B. die Versorgung mit Hormonpräparaten könne auch in der Hausarztpraxis erfolgen: „Auch chronische Krankheiten werden in der Regel nur einmal jährlich fachärztlich kontrolliert und wir Hausärzt:innen übernehmen ganz selbstverständlich die Weiterversorgung – das ist kein Hexenwerk, wie man so schön sagt.“
Er selbst sei von Betroffenen damals darauf angesprochen worden, ob er sich nicht „auf das Thema einschießen“ könnte. Die Herausforderung habe er angenommen: „Wenn es sonst keiner macht, dann traue ich mich eben und wende mich dieser Personengruppe zu.“
Dass z.B. manche Begriffe und Diagnosen im Themenkreis Geschlechtsinkongruenz problematisch sein können, weil sie die Betroffenen pathologisieren, sei ihm anfangs auch nicht bewusst gewesen, erzählt Dr. Wichers – wie vieles anderes nicht. Er habe sich dann eingelesen, sich Leitlinien und Literatur besorgt und entsprechende Fortbildungen belegt. „Wir haben zwar alle wenig Zeit. Aber wir haben die Verpflichtung, uns fortzubilden – und die Wahl, worin wir uns fortbilden möchten.“
Wenn Sie die Erfahrungen, die Dr. Wichers in seiner Praxis gemacht hat, von ihm selbst erzählt bekommen wollen und wissen möchten, welche Tipps er Kolleginnen und Kollegen gibt, die in das Thema einsteigen möchten, dann hören Sie sich unsere rund 30-minütige Podcastfolge dazu an.
Medical-Tribune-Bericht
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