STIKO-Empfehlungen bei Diabetes – Infektionsprävention in Zeiten von Corona

Autor: Dr. Elisabeth Nolde

Pneumokokken sind bei COVID-19 ein besonderes Risiko – auch und vor allem für Menschen mit Diabetes. Pneumokokken sind bei COVID-19 ein besonderes Risiko – auch und vor allem für Menschen mit Diabetes. © TuMeggy, Thaut Images – stock.adobe.com

Manch ein Impfschutz wird unter Hochdruck gesucht, manch zuverlässige Impfoption hingegen unzureichend genutzt – dabei sind Impfungen gerade bei Diabetes aufgrund erhöhter Infektionsrisiken angeraten. Doch welche Impfungen empfiehlt die STIKO und wie soll mit Pneumokokkenimpfungen in Zeiten von SARS-CoV-2 verfahren werden?

Menschen mit Diabetes haben eine erhöhte Infektanfälligkeit – darauf weisen infektionsepidemiologische Beobachtungsstudien hin. Dies betrifft insbesondere Atemwegs-, Harnwegs-, Haut- sowie Weichteilinfektionen nach Operationen oder Verletzungen, erinnerte Professor Dr. Fred Zepp, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Mainz, und Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI). Daher profitierten diese Patienten besonders, wenn sie sich an die Empfehlungen der STIKO halten.

STIKO-Empfehlungen

Das Hauptelement der STIKO-Empfehlungen ist der Impfkalender. Er enthält für alle Altersgruppen die jeweils altersspezifischen Impfungen. Sowohl die idealen Impfzeitpunkte als auch notwendige Wiederholungs-(Auffrisch-) Impfungen gehen daraus hervor. Alle Informationen sind zudem in der ­STIKO-App enthalten. Neu ist ein Button, der direkt tagesaktuelle Informationen zur Coronaviruspandemie und Empfehlungen des Robert Koch-Instituts liefert.

Anhand einer retrospektiven Kohortenstudie zur Infektionslast von Erwachsenen mit Diabetes Typ 1 und Typ 2 machte Prof. Zepp die Gefährdung deutlich. Die Kohortenstudie basiert auf englischen Gesundheitsdaten von rund 5800 Patienten mit Diabetes Typ 1, etwa 96.000 Patienten mit Diabetes Typ 2 und einem gesunden Kontrollkollektiv von circa 200.000 Personen. Es fand sich bei Diabetes Typ 2 ein fast fünffach erhöhtes Risiko für Knochen- und Gelenkinfektionen im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Diabetes. Generell lagen die Inzidenzraten für alle ausgewerteten Infektionstypen, u.a. Cholezystitis, Endokarditis sowie Augeninfektionen, bei Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes höher als im Kontrollkollektiv.

Impfraten gering trotz Erfolg bei Infektionsprävention

Die Ursachen dieser erhöhten Infektanfälligkeit sind nur teilweise bekannt. Angesichts bislang fehlender konkreter Interventionsstrategien stellen laut Experte nach wie vor Impfungen das erfolgreichste Konzept zur Infektionsprävention dar.

Gründe für Infektanfälligkeit nicht abschließend geklärt

Aufgrund einer Diabeteserkrankung kommt es offenbar zu Funktionsstörungen des Immunsystems. Beeinträchtigt sind u.a. das T-Zell-System, die Funktion neutrophiler Granulozyten, die B-Zell-Antwort und die Antikörper-Reaktion. Aber auch sekundäre diabetesspezifische Störungen, etwa Gefäßerkrankungen, Neuropathien oder Glukosurie spielen eine Rolle und können das Auftreten von Infektionen begünstigen, erklärte Prof. Zepp. Er berichtete über eine Forschungsarbeit, die darauf abzielte, bei Adipositas und Typ-2-Diabetes das Auftreten von Infektanfälligkeit bzw. immunologischen Störungen zu untersuchen. Bei beiden Krankheitsentitäten scheint ein chronisch persistierender Entzündungsprozess für die Funktionsstörungen des Immunsystems verantwortlich zu sein.

Doch an der Umsetzung scheine es noch immer zu hapern. So machte der Experte anhand einer Querschnittsuntersuchung aus Spanien deutlich, dass die erreichten Durchimpfungsraten u.a. für saisonale Influenza und Pneumokokken bei Personen mit Diabetes unzureichend sind. Auch die Impfakzeptanz scheint bemerkenswert niedrig: 24 % der Teilnehmer waren von der Wirksamkeit der Impfungen nicht überzeugt oder befürchteten Nebenwirkungen.

Welche Impfungen sind bei Diabetes empfohlen?

Offenbar besteht Vermittlungs- und Motivationsbedarf, damit die Chance einer Infektionsprävention durch Impfungen nicht vertan wird, so der Experte: Grundsätzlich sollten Menschen mit Diabetes Typ 1 und Typ 2 alle von der STIKO empfohlenen Regelimpfungen erhalten. Hier hob Prof. Zepp neben der Masern- auch eine Keuchhustenimpfung besonders hervor. Neben den Routineimpfungen empfiehlt die ­STIKO für Patienten mit Diabetes als Indikationsimpfungen regelmäßige Immunisierungen gegen:
  • Pneumokokken,
  • saisonale Influenza und
  • seit 2019 gegen Herpes Zoster.
Bei besonderen Risiken, z.B. diabetesbedingten Nephropathien oder Dialysepflichtigkeit, wird zur vollständigen Hepatitis-B-Impfung geraten. Zudem gilt die Meningokokken-Impfung als wichtige Option. Angesichts der aktuellen Coronavirus-Pandemie hat das RKI zudem auf die Relevanz einer Pneumokokkenimpfung hingewiesen, hob Prof. Zepp hervor. „Natürlich hilft die Pneumokokken-Impfung nicht gegen die Coronavirus-Infektion“, so der Experte. Allerdings erwerben viele Patienten eine bakterielle Lungenentzündung in Folge einer vorangegangenen viralen Bronchitis oder Pneumonie, da dann die lokale Abwehr geschwächt ist. Viele Menschen sind mit Pneumokokken kolonisiert und tragen den Erreger im Rachen. „Das ist bei COVID-19 aktuell ein besonderes Risiko“, so der Referent.

Wann und wie gegen Pneumokokken impfen?

Aus praktischer Sicht gibt es zur Pneumokokken-Impfung seit Längerem einen Diskurs, erläuterte Prof. Zepp: Denn seit der Zulassung der Pneumokokken-Konjugatimpfstoffe für jedes Lebensalter wird über das beste Impfkonzept für ältere Menschen beraten. Nach STIKO wird ab dem 60. Lebensjahr eine Impfung mit PPSV23 und eine Boosterimpfung nach sechs Jahren empfohlen. Reine Polysaccharid-Impfstoffe – wie PPSV23 – haben einerseits den Vorteil einer hohen Zahl von Serotypen. Andererseits erzeugen sie eine schwache immunologische Gedächtnisantwort und haben keinen Effekt auf die Kolonisierung der Schleimhäute durch Pneumokokken, so Prof. Zepp. Der konjugierte Pneumokokken-Impfstoff PCV13 induziere hingegen ein deutlich besseres immunologisches Gedächtnis. Außerdem reduzieren Konjugatimpfstoffe die Schleimhautbesiedlung im Rachenraum so effektiv, dass allein durch die Impfung von Kindern auch Erwachsene erfolgreich gegenüber den im Impfstoff enthaltenen Serotypen indirekt geschützt sind, verdeutlichte der Experte. Um die Vorteile beider Impfstoffe zu nutzen, hält Prof. Zepp hier aktuell ein sequenzielles Impfschema (PCV13 gefolgt von PPSV23 nach mindestens sechs Monaten) für eine gute Alternative. Bei der Indikationsimpfung gegen Pneumokokken werden Risikopopulationen unterschieden, u.a. Menschen mit angeborenen oder erworbenen Immundefekten, chronischen Krankheiten bzw. Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes. Bis zum 16. Lebensjahr sollte laut STIKO sequenziell geimpft werden: PCV13 und nach mindestens sechs Monaten PPSV23 (PPSV23 erst ab dem Alter von zwei Jahren).

Regelmäßige Impfungen durchführen

Die PPSV23-Auffrischimpfung erfolgt alle sechs Jahre. Ab dem 16. Lebensjahr empfiehlt die STIKO zwar bei chronischen Krankheiten nur die wiederholte Impfung mit PPSV23. Nach der Bewertung von Prof. Zepp sei aktuell aber auch bei dieser Konstellation ab dem Lebensalter von 16 Jahren ein sequenzielles Vorgehen anzustreben. Im Hinblick auf Influenza gehören Menschen mit Dia­betes zur Hochrisikogruppe. Nach einer Influenza-Impfung entwickeln sie aber eine schützende Antikörperantwort, die sich nicht von der Impfantwort Stoffwechselgesunder unterscheidet, so Prof. Zepp. Er appellierte, dass die Impfraten unbedingt gesteigert werden sollten.

Diabetes Update 2020