Beruf und Psyche Zwischen Manie, Depression und Klinikalltag

Praxismanagement , Team Autor: Isabel Aulehla

Eine bipolare Störung schließt „normale“ Phasen nicht aus. Eine bipolare Störung schließt „normale“ Phasen nicht aus. © Nurple – stock.adobe.com

Eine bipolare Störung kann es schwer machen, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Dass man damit aber sogar im Gesundheitswesen arbeiten kann, beweisen die beiden Gäste der neuen Folge des Podcasts O-Ton Allgemeinmedizin. Sie sprechen über ihr ­Outing im Kollegenkreis und die Vorurteile, die ihnen begegnen.

Die Psychiaterin Dr. Astrid Freisen machte ihre bipolare Störung eher unfreiwillig an ihrem Arbeitsplatz bekannt – während ihrer Weiterbildung erschien sie 2010 manisch zum Dienst. Nach zwei Tagen wies ihr Chef sie an, sich krankzumelden. „Auf eine sehr nette Art und Weise zwar, aber doch, damit ich aus der Klinik raus war, damit ich niemandem schaden konnte“, berichtet sie im Podcast O-Ton Allgemeinmedizin.

Die manische Phase dauerte einige Wochen und zerstörte privat und beruflich vieles von dem, was die Ärztin sich aufgebaut hatte. Schließlich begab sie sich in psychiatrische Behandlung. Die nachfolgende Rückkehr an den Arbeitsplatz war unangenehm. „Wie es bei vielen Menschen mit bipolarer Störung ist, ging es auch mir nach der Manie so, dass ich mich unglaublich für das geschämt habe, was in der Manie passiert ist.“

Auf der Tagungsbühne Gesicht gezeigt

Sie suchte nach Selbsthilfeangeboten für Ärztinnen und Ärzte mit psychischen Erkrankungen. Erstaunt stellte sie jedoch fest, dass es – außer bei Abhängigkeitserkrankungen – keine gab. Sie beschloss, bei einer Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen gemeinsam mit zwei weiteren betroffenen Ärztinnen offen über ihre Krankheit zu sprechen. Das Feedback war so überwältigend, dass Dr. Freisen innerhalb der Fachgesellschaft das Referat „Selbst Betroffene Profis“ gründete. Die Gruppe bietet Beratungen per Mail und Telefon an, hat acht digitale Selbsthilfegruppen für rund 75 betroffene Profis geschaffen und arbeitet gegen die Stigmatisierung von Menschen mit bipolarer Störung.

Die Leitung des Referats teilt sich Dr. Freisen inzwischen mit Katrin Engert. Sie ist Pflegekraft aus Pirna und ebenfalls bipolar. Der Verdacht auf ihre Erkrankung kam ihr zufällig in einer Hausarztpraxis. „Wir hatten damals einen Umzug hinter uns, einige Probleme, und ich hatte auf einmal Ideen, wie ich alles lösen kann. Ich habe eine ganze Woche lang kaum geschlafen, viel telefoniert, viel eingekauft. Am Ende bin ich mit einer Kehlkopfentzündung zum Arzt gegangen.“ Dort las sie in einer Zeitschrift von bipolaren Störungen. Der Hausarzt nahm ihren Verdacht ernst und verwies sie an eine Institutsambulanz.

Es dauerte trotzdem noch zwei Jahre, bis die korrekte Diagnose feststand. Für ihre Berufstätigkeit bedeutete die psychische Erkrankung zunächst das Aus: „Ich wurde relativ schnell in die Erwerbsunfähigkeit, in die Rente geschickt.“ Heute arbeitet Engert wieder einige Stunden pro Woche in der Altenpflege. Auf ihren Job hat sie sich offen beworben. Zwischenzeitlich war sie allerdings auch bei Arbeitgebern tätig, die es ihr verboten, die Krankheit vor Patient:innen zu thematisieren. Das wurmte sie so sehr, dass sie kündigte.

Krankheitserfahrung wird wertgeschätzt

Beide Podcast-Gäste benötigen eine strukturierte Dienstplanung. Nacht- oder Wochenendschichten kommen nicht infrage.

Dr. Freisen ging sehr offen mit diesem Umstand um, als sie sich auf ihre jetzige Stelle in Reykjavik bewarb. Ihre Krankheitserfahrung werde wertgeschätzt, erzählt sie. Die Psychiaterin behandelt selbst Menschen mit bipolarer Störung und erlebt ihre eigene Erfahrung dabei als hilfreich. Allerdings sei die Toleranz der Erkrankung unter Ärztinnen und Ärzten nicht selbstverständlich. „Es gibt leider das Vorurteil, dass es nicht möglich sei, im Gesundheitswesen zu arbeiten. Das stimmt nicht. Und ich glaube, wir können es uns nicht leisten, die Betroffenen zu verlieren.“

Sie betont: „Es ist bekannt, dass es zwischen depressiven und manischen Phasen normale Phasen gibt, in denen viele Betroffene in der Lage sind, normal zu arbeiten und normale Beziehungen zu führen. Hier wünsche ich mir von nicht-betroffenen Kolleginnen und Kollegen mehr Entgegenkommen und Unterstützung, statt Stigmatisierung.“

Quelle: Medical-Tribune-Bericht

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