Wer nutzt DiGA?
Für wen sich eine Verschreibung lohnt – und für wen eher nicht
Frau, Mitte 40, in der (Groß-)Stadt lebend – das scheint eine typische DiGA-Nutzerin zu sein, wie Auswertungen von Krankenkassen nahelegen. Die reale Spannweite ist allerdings viel größer. Doch wer nutzt eine App auf Rezept regelmäßig und beim wem verpufft die Neugierde schnell?
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) helfen Patientinnen und Patienten, indem sie ihnen ein elektronisches Tagebuch zum Erfassen von Schmerz-, Medikations- und Messdaten anbieten. Sind für den Heilungserfolg regelmäßige Übungen zu Hause wichtig, können DiGA diese anleiten, daran erinnern und auswerten. Zur Aufklärung über den Umgang mit einem Leiden tragen Audiodateien und Videos bei.
Gerade bei chronischen Erkrankungen ist medizinische Unterstützung zwischen den Praxisbesuchen hilfreich. Zudem ermöglichen die Apps und Webanwendungen es Usern und Leistungserbringern, den Therapieverlauf im Blick zu behalten. Von Versicherten an die Praxis übermittelte Gesundheitsdaten liefern ergänzende Informationen für das persönliche Gespräch.
Baustein für eine intensivierte Versorgung
Das Angebot verfügbarer DiGA hat Klumpen und Lücken. Beispielweise gibt es derzeit mehr als ein halbes Dutzend Anwendungen, die bei leichten depressiven Episoden eingesetzt werden können, aber nur zwei für Menschen mit (Brust-)Krebs. Das schränkt den potenziellen Nutzerkreis ein. Und erklärt, warum z. B. die Orthopädie die zweitgrößte Verordnergruppe (17 %) stellt, nach der Allgemein-/Hausarztmedizin (38 %) und vor der Psychiatrie/Psychotherapie (15 %). So lauten die Zahlen der Techniker Krankenkasse (TK) für den Zeitraum Oktober 2020 bis Ende Juni 2023.
Beim Blick in die Abrechnungsdaten entdeckte die TK auch, dass DiGA von Versicherten in den Altersgruppen 30 bis 59 Jahre am stärksten nachgefragt werden. Das Durchschnittsalter beträgt ca. 44 Jahre. Zudem fiel auf:
- Gut zwei Drittel der DiGA-Rezepte wurden für Frauen ausgestellt.
- Die höchste Nutzungsquote wurde in Berlin registriert mit 9,1 Freischaltcodes pro 1.000 Versicherten. Bundesweit am wenigsten verbreitet waren Apps auf Rezept im Saarland mit nur 4,8 Codes je 1.000 Versicherten.
Der GKV-Marktführer bemerkt, „dass Apps auf Rezept im Zusammenhang mit einer sich intensivierenden Versorgung eingesetzt werden“. Die DiGA-Anwender seien i. d. R. bereits stark in ambulante Behandlungsprozesse eingebunden. Das offenbart sich in der gestiegenen Inanspruchnahme von Haus- und Fachärzten im Jahr vor der Nutzung der DiGA. Zugleich zeigt sich, dass die Anwendungen bei rund 28 % der Patientinnen und Patienten früh im Krankheitsverlauf zum Einsatz kamen; die relevante Erstdiagnose wurde innerhalb von drei Monaten vor der Nutzung dokumentiert.
Altersverteilung
Altersverteilung von TK-Versicherten, die zwischen Oktober 2020 und Ende Juni 2023 einen DiGA-Code eingelöst haben:
- 18–29 Jahre: 16 %
- 30–39 Jahre: 24 %
- 40–49 Jahre: 20 %
- 50–59 Jahre: 24 %
- 60–69 Jahre: 13 %
- ab 70 Jahren: 3 %
Durchschnittsalter: ca. 44 Jahre
Quelle: DiGA-Report II der Techniker Krankenkasse, 2024
Große Neugier – geringe Ausdauer
Die Barmer stellt für acht überprüfte DiGA fest: In ländlichen Gegenden wurden diese Anwendungen seltener verordnet als in der Kernstadt. Liegt das an der Aufgeschlossenheit der jeweiligen Bewohner und/oder Verordner? Die Erwartung, dass Versorgungslücken, weite Fahrten und längere Wartezeiten im ländlichen Raum mithilfe der digitalen Helferlein ausgebügelt werden, scheint sich jedenfalls nicht umgehend zu erfüllen.
Im Frühjahr 2023 ließ die Barmer für ihren „Arztreport“ 1.700 Versicherte befragen, wie regelmäßig sie ihre DiGA im Schnitt benutzt haben. Gut 38 % antworteten „täglich“, 18 % sagten „4- bis 6-mal in der Woche“ und 21 % sprachen von „2- bis 3-mal in der Woche“. Dass sie die DiGA einmal oder seltener im Monat nutzten, gaben 3,4 % zu. Und rund 4 % berichteten, die Anwendung nach der Aktivierung gar nicht genutzt zu haben.
Danach gefragt, wann sie die Nutzung beendet haben, teilte gut die Hälfte mit, dass dies nach Ablauf der 90 Tage der Fall war. Ein Zehntel nutzte die DiGA weiterhin. Nach spätestens einem Monat hatte fast ein Viertel genug von der App. Häufig genannte Gründe für den Ausstieg waren nicht erfüllte Erwartungen, der Eindruck, dass die DiGA die Symptome nicht verbessern wird, oder eine zwischenzeitliche Genesung. Technische Probleme oder eine zu komplizierte Handhabung wurde von jeweils weniger als 8 % als Grund angegeben (Mehrfachantworten waren möglich).
Krankenkassen fordern eine Testphase
Ärztinnen und Ärzte, die schon häufiger DiGA verordnet und sich mit den Usern über deren Erfahrungen unterhalten haben, sagen, dass sie mittlerweile ganz gut einschätzen können, von welchen konkreten Patientinnen und Patienten eine digitale Unterstützung vermutlich angenommen wird. Die politische Forderung der Krankenkassen lautet, Testphasen einzuführen.
Die Barmer ließ übrigens Ende 2023 auch in 1.000 Arztpraxen abfragen, inwieweit die Behandlerinnen und Behandler selbst beliebige Gesundheits-Apps verwenden. Es fiel dann die wenig überraschende Korrelation auf: Jene 173 Ärztinnen und Ärzte, die selbst mehrere Gesundheits-Apps nutzten, hatten in den vorangegangenen zwölf Monaten im Schnitt 12,6 DiGA verschrieben, während die 283 App-Abstinenzler („noch nie genutzt“) mit durchschnittlich 5,4 Verordnungen deutlich zurückhaltender waren.
Den Eindruck, dass eine verordnete DiGA die Therapie sinnvoll unterstützte, hatten drei von vier Ärztinnen und Ärzten – 46,5 % „häufig oder sehr häufig“ und 31 % „gelegentlich“. Dass die DiGA „maßgeblich zur Verbesserung der Beschwerden“ beitrug, verneinte ein Drittel („nie oder selten“). Ein Drittel bemerkte „gelegentlich“ Verbesserungen und ein Drittel registrierte diese „häufig oder sehr häufig“.
Autor: Michael Reischmann