Nutzen von Diabetestechnologie  CGM, AID, DiGA und KI – was bedeutet das für die Praxis?

Diabetes Kongress 2024 Autor: Antje Thiel

Bei der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie der DDG wurden internationale Studien zu CGM, AID und KI präsentiert. Bei der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie der DDG wurden internationale Studien zu CGM, AID und KI präsentiert. © zVg

Der Einsatz kontinuierlicher Glukosemessung (CGM), automatisierter Insulindosierung (AID) und Künstlicher Intelligenz (KI) kann nicht nur die Stoffwechsellage von Schwangeren, sondern auch die Outcomes ihrer ungeborenen Kinder verbessern. Dies geht aus internationalen Studien hervor, die bei der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie (AGDT) der DDG präsentiert wurden.

Knapp 200 Teilnehmende nutzten die Gelegenheit, sich bei der Veranstaltung aus erster Hand über den Nutzen von Künstlicher Intelligenz (KI) und von CGM-Sensoren bei Gestationsdiabetes mellitus (GDM) für die Schwangeren selbst und deren Neugeborenen zu informieren. Hierzu stellte Tagungspräsidentin und Co-Veranstalterin Professor Dr. Claudia Eberle (Hochschule Fulda – University of Applied Sciences) die Ergebnisse ihrer eigenen internationalen Studien vor. Darin konnte sie eindrucksvoll zeigen, dass sich mithilfe von KI ein Gestationsdiabetes mit einer signifikanten Sensitivität von bis zu ca. 80 % und einer signifikanten Spezifität von bis zu ca. 99 % bereits in einem frühen Stadium der Schwangerschaft vorhersagen lässt. Diese Metaanalyse führte Prof. Eberle auf Basis von internationalen Daten von mehr als 55.000 schwangeren Frauen durch. „Mithilfe von KI können zukünftig frühzeitig und mit einer hohen diagnostischen Sicherheit Risikopatientinnen identifiziert werden“, erklärte sie.

In der Schwangerschaft können CGM und AID helfen

Anhand einer weiteren internationalen Studie konnte Prof. Eberle zeigen, dass der Einsatz von CGM-Sensoren bei Frauen mit Gestationsdiabetes nicht nur den HbA1c-Wert der werdenden Mütter, sondern vor allem die Sterblichkeit ihrer Neugeborenen signifikant senken konnte. Darüber hinaus zeigten die Neugeborenen von Müttern, deren Gestationsdiabetes mittels kontinuierlicher Glukosemessung (CGM) überwacht wurde, signifikant weniger Hypoglykämien und respiratorische Störungen nach der Geburt. „Außerdem mussten die Neugeborenen deutlich seltener auf die Intensivstation verlegt werden“, ergänzte Prof. Eberle, deren Studie im Mai 2024 beim 58. Diabetes Kongress in Berlin in der Sektion „Digitalisierung“ ausgezeichnet worden ist.

Bei Frauen mit Typ-1-Diabetes wiederum können Systeme zur automatisierten Insulindosierung (AID) in der Schwangerschaft helfen, wenn die Insulinempfindlichkeit hormonbedingt starken Schwankungen unterworfen ist. „Aktuell sind nicht alle AID-System für die Nutzung in der Schwangerschaft vorgesehen“, berichtete Dr. Sandra Schlüter (Northeim) vom AGDT-Vorstand. In welchem Rahmen AID-Systeme in der Schwangerschaft helfen können, die Stoffwechselsituation zu verbessern und bei welchen AID-Anwendungen Probleme auftreten könnten, wurde intensiv diskutiert. Unter den Teilnehmenden und Referierenden herrschte letztlich Einigkeit darüber, dass AID-Systeme ein immenses Potenzial für die allermeisten Patientengruppen bergen.

Doch auch mögliche „Pitfalls“ blieben nicht unerwähnt: So stellen die Systeme z. B. manche Menschen mit eingeschränkter Lese- und Schreibfähigkeit, mit psychiatrischen Erkrankungen oder mit höherem Lebensalter vor Herausforderungen bei der Nutzung, so Dr. Schlüter. Aber AGDT-Vorstandsmitglied Dr. Guido Freckmann (Ulm) stellte heraus, dass die vorgestellten Fälle nicht nur Herausforderungen, sondern vor allem positive Erfahrungen aufzeigen: „AID-Systeme funktionieren häufig auch bei Menschen, bei denen man normalerweise von ihnen abraten würde, etwa bei Älteren oder Patienten mit kognitiven Einschränkungen.“

Service-Angebote der AG Diabetes & Technologie

  • Basiswissen (z. B. Steckbriefe für AID-Systeme mit Details zu jedem System nach dem CARES-Schema, Broschüre der WHO zur Patientenschulung)
  • Vorträge und Berichte von Mitgliedern, Beirat und Vorstand der AGDT
  • Stellungnahmen der AGDT zu diabetestechnologischen Themen
  • Fortbildung: umfangreiche Informationen zur Fort- und Weiterbildung im Bereich Diabetestechnologie (CGM-Schulungsprogramm SPECTRUM, Studienlage und Erstattungssituation im Bereich Fortbildung, Beiträge und Publikationen)

DiGA: Diabetesteams oft nicht eingebunden

Großes Interesse bestand auch an Apps und digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Prof. Eberle führte in das Thema ein, indem sie Definitionen, Funktionsweisen, klinische Wirksamkeiten sowie die derzeitige Studienlage von Lifestyle-Apps, medizinischen Apps und DiGA vorstellte. Anschließend  wurden alle derzeit beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Industrieprodukte (BfArM) gelisteten DiGA aus der Diabetologie von einem Referententeam vorgestellt. „In der sich anschließenden angeregten Diskussion mit den Teilnehmenden, Referierenden und Industriepartnern ging es um Aspekte wie zum Beispiel Kosten, Kompatibilität und Praktikabilität der DiGA im Alltag, aber auch um fehlende Informationen und Schulungsmöglichkeiten“, berichtete Prof. Eberle. Im Zuge der Diskussion wurde auch deutlich, dass insbesondere Anwender*innen und Diabetesteams in die Entwicklung von DiGA nicht eingebunden wurden, ergänzten Dr. Freckmann und Dr. Schlüter. Demnach verfügt nur ein kleiner Teil der DiGA über Reports, die von Diabetesteams eingesehen und somit in der Therapie gezielt unterstützend eingesetzt werden können. Wenn diese und andere notwendige Weiterentwicklungen vorgenommen werden, könnten DiGA aber künftig eine wichtige Rolle spielen, waren sich die Expert*innen einig.

Je breiter CGM-Systeme eingesetzt werden, umso mehr Aufmerksamkeit verdient das Thema Messgenauigkeit von CGM-Sensoren. Hierzu bemerkte Dr. Freckmann: „Es gibt derzeit keine standardisierten Verfahren für die Durchführung von Studien mit CGM-Systemen, was die Vergleichbarkeit der Studienergebnisse erschwert.“ Als gängiger Parameter zur Bestimmung der Genauigkeit der kontinuierlichen Glukosemessung hat sich die Mean Absolute Relative Difference (MARD) etabliert. Diese ist jedoch stark abhängig vom Studiendesign. Daher versuche eine Arbeitsgruppe der International Federation of Clinical Chemistry (IFCC) aktuell, hierfür einen Standard für Studiendesign und Auswertung zu definieren.

Rege fachliche Diskussionen und familiäre Atmosphäre

Neben den fachlichen Diskussionen trugen vor allem der Tagungsort an der Hochschule Fulda – University of Applied Sciences und die familiäre Atmosphäre zur positiven Stimmung aller Beteiligten bei. „Die lebhaften Diskussionen in jeder Session haben gezeigt, wie wichtig der Austausch auf dem Gebiet der Diabetestechnologie ist“, meinte Dr. Schlüter. Bei der nächsten Jahrestagung steht neben dem fachlichen Programm auch ein rundes Jubiläum an, denn die AGDT feiert 2025 ihren 20. Jahrestag.

AGDT-Jahrestagung 2024