Medizinisches Cannabis Einsichten aus sechs Jahren mit verordnungsfähigem Cannabis

DGPPN 2023 Autor: Friederike Klein

Die Gefahr von Missbrauch und Abhängigkeit bei der Therapie mit Cannabisblüten sollte beachtet werden. Die Gefahr von Missbrauch und Abhängigkeit bei der Therapie mit Cannabisblüten sollte beachtet werden. © Africa Studio – stock.adobe.com

Im März 2017 wurde die Möglichkeit, medizinisches Cannabis zu verordnen, per Gesetz stark ausgeweitet. Die Ergebnisse der Begleitforschung zeigen: Die meisten Patienten scheinen von Medizinalcannabis zu profitieren. Ein Missbrauch ist aber nicht auszuschließen. Insbesondere die Verordnung von Blüten sieht das BfArM mit Skepsis.

Bereits seit 2011 gab es zur Therapie der Spastik bei Multipler Sklerose mit Nabiximols eine verordnungsfähige Cannabis-Zubereitung. Neben dieser Indikation gelten auch chronische (insbesondere neuropathische) Schmerzen, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen als etablierte Indikationen für medizinisches Cannabis, erläuterte Prof. Dr. ­Oliver ­Pogarell von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am LMU Klinikum München. Davon abgesehen sei die Evidenz für die Wirksamkeit des Rauschmittels allerdings dünn.

Das Gesetz von 2017 mit dem Kurznamen „Cannabis als Medizin“ erlaubt nicht nur die Verschreibung von Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis, sondern führt auch die Erstattungsfähigkeit von Blüten und Extrakten ein – ohne eine Pflicht, die Wirksamkeit und Sicherheit der jeweiligen Zubereitung zu prüfen. Das stelle einen deutlichen Bruch im Arzneimittelrecht dar, erläuterte Dr. ­Peter Cramer-Schaeffer, Facharzt für Anästhesie und Leiter der Bundesopiumstelle am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn. Gesetzlich Versicherte können seitdem bei schweren Erkrankungen mit Cannabisarzneimitteln zulasten der Krankenkassen behandelt werden.

Weder der Einsatzbereich wurde begrenzt noch die Gruppe der verschreibenden Ärztinnen und Ärzte, betonte Dr. Cramer-Schaeffer. Wer ab März 2017 Cannabisarzneimittel zulasten der GKV verordnete, war allerdings verpflichtet, an der Begleiterhebung des BfArM teilzunehmen. Mit Stand 3. Januar 2022 wurden im Online-Portal des BfArM 16.809 auswertbare anonymisierte Behandlungsdaten eingegeben – weit weniger als Patienten, denen seit 2017 Medizinalcannabis verordnet wurde. Durch die Anonymisierung ließen sich keine Unstimmigkeiten klären oder die Nicht-Teilnahme kontrollieren. Sonst hätten es Dr. Cremer-Schaeffer zufolge 50.000 Datensätze sein können.

Dennoch gibt die Begleiterhebung interessante Einblicke. Am häufigsten wurde Dronabinol (Tetrahydrocannabinol, THC) verordnet (62,2 %). Cannabisblüten erhielten 16,5 % der Behandelten, Nabiximols 13,0 % und Extrakte 8,0 %. Grund der Verordnung waren bei etwa 76 % der Patienten Schmerzen, bei 10 % Spastik, bei 5 % Anorexie oder Wasting, bei jeweils 4 % Übelkeit/Erbrechen beziehungsweise Depression. Selten (in jeweils in 1–2 % der Fälle) wurde ein Cannabisprodukt wegen ADHS, Appetitlosigkeit, einer entzündlichen Darmerkrankung, Ticstörung/Tourette-Syndrom, Epilepsie, Restless-Legs-Syndrom oder Schlafstörungen verordnet. Im Median waren die Patienten bei Verschreibung 57 Jahre alt; Frauen erhielten häufiger Medizinalcannabis als Männer (54 % vs. 46 %). 

Auffällig waren Abweichungen bei den Verordnungen von Cannabisblüten: Die Patienten waren jünger (im Median 46 Jahre) und überwiegend Männer (67,4 % vs. 32,5 % Frauen). Der Anteil der Verordnungen aus „sonstigen Gründen“ war bei den Blüten zudem größer als bei anderen Formen des Medizinalcannabis. Die mittlere THC-Dosis lag bei einer Cannabisblüten-Verordnung bei 249 mg und damit weit über der mittleren Tagesdosis von THC von rund 15 mg bei Verwendung von Dronabinol, Cannabisextrakten und Nabiximols.

In fast 75 % aller untersuchten Fälle führte die Verwendung von medizinischem Cannabis zu einer Verbesserung der Symptome, heißt es im Abschlussbericht des BfArM zur Begleiterhebung. Häufige unerwünschte Wirkungen waren Müdigkeit und Schwindel. Etwa ein Drittel der Behandlungen wurde vor Ablauf eines Jahres beendet, hauptsächlich aufgrund mangelnder Wirksamkeit (39 %) oder Nebenwirkungen (26 %). In 70 % der Fälle berichteten die Patienten zudem über eine gestiegene Lebensqualität. Allerdings seien diese Daten kein Ersatz für die immer noch dringend benötigten klinischen Studien, so das BfArm.

Wer Cannabisblüten erhalten hatte, bewertete den Erfolg der Behandlung im Allgemeinen als größer, brach die Therapie seltener ab und meldete seltener Nebenwirkungen – mit Ausnahme einer euphorisierenden Wirkung. Diese trat unter Blütenkonsum dreimal häufiger auf als bei der Behandlung mit anderen Formen von Medizinalcannabis. In Zusammenschau mit dem abweichenden Patientenprofil blicken die Autoren des Abschlussberichts „nicht ohne Sorge“ auf die Cannabisblüten-Verordnung. Ärztinnen und Ärzte sollten die Gefahr von Missbrauch und Abhängigkeit bei der Therapieplanung mit Cannabisblüten beachten.

Dass medizinisches Cannabis nach der Legalisierung der Droge für den Freizeitgebrauch verschwinden wird, glaubt Prof. Pogarell nicht. Vielmehr wird es ein gesondertes Medizinalcannabisgesetz geben, dass die bereits bestehenden Regelungen zum medizinischen Einsatz im Wesentlichen fortschreiben wird. Die Verordnung auf einem besonderen Betäubungsmittelrezept wird aber zukünftig nicht mehr notwendig sein, sagte er.

* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.

Quelle: DGPPN-Kongress* 2023