Frühgeburt hat Spätfolgen: Entwicklungsstörungen und Förderbedarf dauern noch Jahre an
Dank der modernen neonatologischen Behandlungsoptionen überlebt heutzutage die Mehrzahl der Frühgeborenen, darunter sogar vermehrt extrem unreif geborene Kinder. Die Kehrseite der Medaille ist, dass ein erheblicher Anteil der ehemaligen Frühgeborenen im Vorschulalter unter entwicklungsneurologischen Defiziten leidet, professionelle schulische Unterstützung (Eingeschult wird man in Frankreich mit drei Jahren, Anm. d. Red.) oder andere gezielte Fördermaßnahmen benötigt. Zu diesem Schluss kommen französische Wissenschaftler um die Neonatologin Véronique Pierrat von der Universität Paris nach Auswertung von Daten der EPIPAGE-2-Studie.
Eingeschlossen in die Kohortenstudie waren mehr als 3000 Kinder, die zwischen der 24. und der 35. Schwangerschaftswochen (SSW) auf die Welt gekommen waren. Fünfeinhalb Jahre später absolvierten die Kinder umfangreiche entwicklungsneurologische Untersuchungen und ihre Eltern beantworteten Fragen zum Verhalten und zur schulischen Entwicklung ihrer Kinder sowie zu Alltagsbelastungen. Mäßige oder schwere entwicklungsneurologische Defizite, z.B. eine ausgeprägte Zerebralparese, eine uni- oder bilaterale Blind- oder Taubheit oder einen unterdurchschnittlichen IQ, stellten die Wissenschaftler fest bei:
- 28 % der zwischen der 24. und 26. SSW,
- 19 % der zwischen der 27. und 31. SSW sowie
- 12 % der zwischen der 32. und 34. SSW geborenen Kinder fest.
Leichtere Einschränkungen wiesen jeweils rund 39 %, 36 % bzw. 34 % der ehemaligen Frühgeborenen auf und eine Schulassistenz benötigten je 27 %, 14 % bzw. 7 %.
Familien mit niedrigem Sozialstatus stark belastet
Etwa die Hälfte der extrem unreifen und immerhin noch ein Viertel der reiferen Frühgeborenen nahmen komplexere Förderangebote (z.B. Sehschule, Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie) in Anspruch. Die Eltern zeigten sich insbesondere im Hinblick auf die Verhaltensentwicklung ihrer Kinder besorgt.
Die Frühgeburtlichkeit stellt nicht nur für die betroffenen Familien, sondern auch für das Gesundheits- und das Schulsystem eine große Herausforderung dar, so das Fazit der Experten. Besonders belastet sind dabei sozioökonomisch benachteiligte Familien.
Quelle: Pierrat V et al. BMJ 2021; 373: n741; DOI: 10.1136/bmj.n741