Hinter psychiatrischen Notfällen steckt häufig eine somatische Ursache
Als psychiatrischen Notfall definiert eine aktuelle Leitlinie das akute Auftreten oder die Exazerbation einer bestehenden psychiatrischen Störung, die Leben und Gesundheit des Betroffenen und/oder seiner Umgebung unmittelbar gefährdet und sofortiger Diagnostik und/oder Therapie bedarf. Experten gehen davon aus, dass deswegen jährlich etwa 500 000 Menschen vom Notarzt und 1,5 Mio. in Notaufnahmen versorgt werden.
Damit sind diese Situationen im Ranking kräftig nach oben geklettert. Mit bis zu 14,7 % liegen sie jetzt etwa auf gleichem Niveau wie neurologische (11–15 %) und traumatologische (9–14 %) Notfälle und stellen die zweit- bis vierthäufigste Einsatzursache für den Notarzt dar.
Für die steigenden Zahlen gibt es vielfältige Gründe. So bleiben z.B. in Regionen mit unzureichender medizinischer Abdeckung psychiatrische Erkrankungen oft unentdeckt und unbehandelt – bis sie akut werden. Und durch eine Verkürzung der stationären Behandlungsdauer gehen noch nicht vollständig stabilisierte Patienten (zu) früh nach Hause, in ein überfordertes ambulantes System.
Mit der Altersentwicklung wächst natürlich auch die Zahl an gerontopsychiatrischen Fällen und Delirien nach umfangreichen medizinischen Anwendungen. Zudem haben manche Gruppen den Konsum von Alkohol oder Drogen extrem hochgefahren. Man vermutet darüber hinaus eine Abnahme stabilisierender Faktoren in der Gesellschaft, zudem beanspruchen immer mehr Menschen notfallmedizinische Dienste.
Als häufigste Ursachen der Notfälle nennt das Leitlinienteam um Professor Dr. Frank-Gerald Pajonk von der Praxis Isartal in Kloster Schäftlarn Intoxikationen (v.a. durch Alkohol, 30–43 %), Erregungszustände (12–30 %) und Suizidalität (14–25 %). Notärzte stufen die Betroffenen zu 20–32 % als schwer bis lebensbedrohlich ein. Bei bis zu 20 % werden Zwangsmaßnahmen angewendet. Die Autoren betonen, immer daran zu denken, dass bei vielen Patienten eine somatische Ursache dahinterstecken kann. Neben dem psychopathologischen Befund ist daher eine vollständige körperliche und neurologische Untersuchung, ggf. ergänzt durch Labor und Bildgebung, unverzichtbar.
Quelle: S2k-Leitlinie „Notfallpsychiatrie“, AWMF- Registernummer: 038-023, www.awmf.org