Körperfett als Krebsursache – Vorsorgeuntersuchungen bei Adipösen besonders wichtig
In den vergangenen 40 Jahren ist die Prävalenz übermäßigen Körpergewichts (Übergewicht und Adipositas) drastisch gestiegen. Zwischen 1975 und 2016 hat sich die Zahl der adipösen Erwachsenen weltweit versechsfacht, die adipöser Kinder und Jugendlicher sogar verzehnfacht. In Deutschland bringen 67 % der erwachsenen Männer und 53 % der Frauen deutlich zu viel auf die Waage (BMI > 25 kg/m2), schreibt Professor Dr. Hans Scherübl vom Vivantes Klinikum Am Urban in Berlin.
Fettgewebe produziert Wachstumsfaktoren
Experten gehen davon aus, dass übermäßiges Körpergewicht sich in den kommenden 20 Jahren zur wichtigsten vermeidbaren Krebsursache entwickeln und das Rauchen von Platz 1 auf der Liste der vermeidbaren Krebsrisiken verdrängen wird. Übergewicht erhöht das Risiko für eine ganze Reihe von Krebsentitäten (s. Kasten). Dabei besteht häufig eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Kommen andere ungünstige Faktoren wie Alkoholkonsum oder Rauchen hinzu, steigt das Krebsrisiko noch weiter an.
An der Krebsentwicklung als Folge von übermäßigem Körpergewicht sind verschiedene Mechanismen und Faktoren beteiligt, u.a.:
- Insulinresistenz
- chronische Entzündung
- Bewegungsmangel
- Geschlechtshormone
- Wachstumsfaktoren
Fettgewebe ist endokrin aktiv und bildet Hormone, Wachstumsfaktoren sowie Zytokine. Einige dieser metabolischen Änderungen werden mit der Karzinogenese assoziiert.
Eine der Krebsarten, die durch Übergewicht und Adipositas begünstigt wird, ist das kolorektale Karzinom. Dank des Darmkrebs-Screenings sinken die Erkrankungszahlen zwar bei den über 50-Jährigen, doch entwickeln nun immer mehr Jüngere kolorektale Karzinome. In Europa stieg in den Jahren 2004 bis 2016 die Darmkrebsrate bei den 30- bis 39-Jährigen jährlich um 4,9 %, bei den 20- bis 29-Jährigen sogar um 7,9 % an. Übergewichtige oder adipöse Teenager haben ein um ca. 50 % erhöhtes Risiko, später an einem kolorektalen Karzinom zu erkranken. Da Darmkrebs durch Vorsorgeuntersuchungen oft in einem frühen, heilbaren Stadium diagnostiziert werden kann, wird derzeit diskutiert, je nach individuellem Risiko bereits bei jüngeren Patienten mit dem Screening zu beginnen als bislang empfohlen.
Ein Viertel bis ein Drittel der deutschen Bevölkerung hat heute eine nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD). Die NAFLD kann sich zu einer Leberzirrhose entwickeln, die als potenzielle Präkanzerose des hepatozellulären Karzinoms gilt. Kommt dann noch Alkoholkonsum hinzu, potenziert sich das Leberkrebsrisiko.
Übergewicht erhöht das Risiko für 13 Krebsarten
- Meningeome
- Multiple Myelome
- Endometriumkarzinom
- Ovarialkarzinom
- Brustkrebs (postmenopausal)
- Dickdarmkarzinom
- Adenokarzinom des Ösophagus
- Karzinom der Magenkardia
- Pankreaskarzinom
- Hepatozelluläres Karzinom
- Gallengangskarzinom
- Nierenkarzinom
- Schilddrüsenkarzinom
Jedes vierte Nierenkarzinom aufgrund von Übergewicht
Eine positive Korrelation gibt es zudem zwischen erhöhtem BMI und dem Risiko für ein Nierenzellkarzinom. Je 5 kg/m2 exzessivem Gewicht steigt das Risiko für Nierenzellkrebs um jeweils 30 %. Heute sind wahrscheinlich ein Viertel bis ein Drittel aller Nierenkrebserkrankungen durch übermäßiges Körpergewicht bedingt, erklärt der Autor. Übergewicht bei Heranwachsenden ist mit einem deutlich erhöhten Nierenzellkarzinomrisiko im Erwachsenenalter verbunden. Auch das Risiko für Mamma- und Endometriumkarzinome ist durch einen erhöhten BMI gesteigert. Die Wahrscheinlichkeit für eine Endometriumneoplasie wächst je 5 kg/m2 exzessivem Gewicht um jeweils 50 %. Wer es schafft, ein gesundes Körpergewicht zu halten, senkt sein Risiko für 13 verschiedene Tumorentitäten, fasst Prof. Scherübl zusammen. Er weist darauf hin, dass die Krebsvorsorgeuntersuchungen der gesetzlichen Krankenversicherungen insbesondere übergewichtigen und adipösen Menschen mit besonderer Dringlichkeit empfohlen werden sollten.Quelle: Scherübl H. Dtsch Med Wochenschr 2020; 145: 1006-1014; DOI: 10.1055/a-1126-3903