Liebeskummer Krank vor Liebe

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Wer hilft bei gebrochenem ­Herzen? Seit einigen Jahren gibt es Beratungsstellen wie die ­Liebeskümmerer in Berlin. Wer hilft bei gebrochenem ­Herzen? Seit einigen Jahren gibt es Beratungsstellen wie die ­Liebeskümmerer in Berlin. © iStock/Valentina Shilkina

Eigentlich ist Liebeskummer ja keine psychische Krankheit – in der Praxis aber irgendwie schon. Denn insbesondere im Jugend- und jungen Erwachsenenalter ist er ein bedeutender Risikofakor für Suizid.

Fast jeder kennt ihn: Liebeskummer ist – ganz unromantisch ausgedrückt – eine „negative emotionale Reaktion auf eine nicht erwiderte Liebe, auf die Trennung von einem geliebten Menschen oder die Gefährdung einer Partnerschaft“. Er kommt in jedem Lebensalter vor, er kann Menschen in existenzielle Krisen stürzen und mitunter krankhafte Züge annehmen, schreibt Prof. Dr. ­Henrik ­Walter von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie CCM der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Ungesund, nie Liebeskummer empfunden zu haben

Gleichzeitig ist das Herzeleid Ausdruck der eigenen Liebesfähig- und Liebesbedürftigkeit, und es gilt geradezu als ungesund, es noch nie empfunden zu haben. Die wichtigsten Symptome des Liebeskummers sind Depressivität, Wut und Selbstzweifel. Hinzu kommen oft körperliche Beschwerden wie ein allgemeines Krankheitsgefühl, Kreislaufprobleme, Erschöpfung und Schmerzen. Mehrheitlich betroffen sind Frauen und ängstlich gebundene Menschen.

Wenn der Liebeskummer in das Spektrum psychiatrischer Veränderungen eingestuft wird, dann als akute Anpassungsstörung, meint der Arzt. In manchen Fällen scheint sogar eine Einordnung als posttraumatische Belastungsstörung gerechtfertigt. Die Anpassungsstörung ist definiert als mal­adaptive Reaktion auf kritische, aber nicht traumatische Lebensereignisse. Der seit Januar geltende ­ICD-11 nennt zwei Kriterien: vermehrte Beschäftigung mit dem Ereignis samt Folgen sowie Anpassungsschwierigkeiten im Alltag. Die Probleme können so stark sein wie bei einer Angststörung oder einer Depression, und das Suizidrisiko ist einer Studie zufolge mehr als zehnfach erhöht.

Bei ihrer Einstufung der Seelenqual sind Psychiater hin- und hergerissen, wie der Autor beschreibt: Einerseits möchten sie Liebeskummer nicht pathologisieren, da er Teil der normalen Lebenswelt ist. Andererseits räumen sie ein, dass auch Anpassungsstörungen häufig klinisch relevant sind und viel Leid verursachen. Womöglich haben die Briten also recht mit der Bezeichnung „Lovesickness“, merkt er an.

Der pathologische Liebeskummer erinnert auch an eine anhaltende Trauerstörung, wobei der Tod einer nahestehenden Person durch den erfolgten oder drohenden Verlust oder die Unerreichbarkeit eines geliebten Menschen ersetzt wird. Des Weiteren könnte der Seelenschmerz auch als eine besondere Form der Depression verstanden werden. Studienergebnisse sprechen zudem dafür, dass Liebeskummer Menschen tatsächlich depressiv machen kann. Er führt aber nicht dazu, dass auch künftig depressive Episoden auftreten.

Neurobiologisch könne man lang­anhaltenden Liebeskummer ebenso wie die prolongierte Trauer als Entzugssyndrom auffassen, schreibt Prof. Walter. Das Denken an die geliebte Person habe dabei einen Belohnungscharakter. Dadurch könne sich das seelische Leiden vertiefen und werde durch intermittierende Verstärkung aufrechterhalten. 

Alle 11 Minuten radikalisiert sich ein Single im Internet

Die sogenannten sozialen Medien könnten im Bezug auf Liebeskummer eine deletäre Rolle spielen, meint Prof. ­Walter. So führt die Zurückweisung in Dating-Apps bei manchen Männern zu einer generell erhöhten Feindseligkeit gegenüber Frauen, was schlimmstenfalls in einen Femizid münden könne. Ein neues Phänomen ist die frauenfeindliche Internet-Subkultur von heterosexuellen Männern, die unfreiwillig sexuell enthaltsam leben. Diese sogenannten Incels (involuntary celibate) meinen, sie hätten einen festen Anspruch auf Sex. Für ihre Misere machen sie die Frauen im Allgemeinen verantwortlich, die ihnen den Geschlechtsverkehr vorenthalten, und steigern sich in Gewaltfantasien.

Dem Ex nicht in den sozialen Medien folgen

Spezielle Therapien existieren bisher nicht. Zudem fehlen Anlauf- und Beratungsstellen. Erst in den letzten Jahren wurden Angebote entwickelt wie die Liebeskümmerer in Berlin oder die Herzkümmerei in Hamburg. Pro familia bietet eine gezielte Beratung für Jugendliche an. Für die Betroffenen gilt es zunächst zu akzeptieren, dass sich Liebe nicht erzwingen oder einfordern lässt. Außerdem gibt es keinen Zeitplan, wie lange der Kummer höchstens anhalten sollte. Es gibt aber durchaus Maßnahmen, die den Herzschmerz lindern. So ist es sinnvoll, klare Verhältnisse zu schaffen, dem Ex- oder Nichtpartner nicht in den sozialen Medien zu folgen und sich selbst regelmäßig etwas Gutes zu tun. Die Reflexion über das eigene Liebes- und Lebenskonzept ermöglicht ein besseres Verständnis des Kummers und eignet sich zur Linderung, Heilung und Prävention.

Quelle: Walter H. Nervenheilkunde 2021; 40: 963-976; DOI: 10.1055/a-1650-2810


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