Bewegung bei Hypertonie Maßgeschneidert statt von der Stange
Die Prävalenz der arteriellen Hypertonie ist in den letzten Jahren angestiegen und wird in Europa inzwischen auf 30–45 % geschätzt. Einen der Gründe für den Anstieg sehen Experten in nachlassenden körperlichen Aktivitäten der Menschen, schreiben Dr. Henner Hanssen vom Department of Sport, Exercise, and Health, Preventive Sports Medicine and Systems Physiology an der Abteilung für Innere Medizin der Universität Basel und seine Kollegen.
Lifestyleinterventionen empfehlen europäische Leitlinien praktisch für alle Menschen mit Bluthochdruck, ab Werten > 140/90 mmHg sollten Antihypertensiva dazukommen. Was die sportlichen Aktivitäten angeht, gilt weiterhin ein aerobes Ausdauertraining als Standard. Zu den geeigneten, immer wieder genannten Sportarten gehören Joggen, Radfahren oder Schwimmen. Allgemein empfohlen wird, sie in moderater Intensität an fünf bis sieben Wochentagen über insgesamt mindestens 150 Minuten pro Woche zu betreiben.
Es gibt aber Hinweise darauf, dass das Ansprechen je nach Ausgangsblutdruck variiert. Und vielleicht wäre ein individuelleres Trainingskonzept, das zunächst von diesen Werten ausgeht, ebenso sinnvoll und leichter durchzuhalten. Das Team um Dr. Hanssen hat zu dieser These 34 aktuelle Metaanalysen von randomisierten Studien durchforstet, die verschiedene Sportformen und ihre Wirkung auf den Blutdruck untersucht hatten. Für die Auswertung teilten sie die Aktivitäten in Gruppen ein:
- Ausdauertraining wie genannt
- dynamisches Training gegen Widerstand (klassisches Muskelaufbautraining in Bewegung)
- isometrisches Training gegen Widerstand
- kombinierte Aktivitäten mit einer Dauer von mindestens vier Wochen
Geprüft wurde der Einfluss auf Normotone, Menschen mit hochnormalem Druck (130–139/85–89 mmHg) und Hypertoniker.
Ausdauertraining
Die Aktivitäten senkten in allen Gruppen systolische und diastolische Werte. Am stärksten verminderten sie sie aber bei Betroffenen mit einer Hypertonie. Auch bei älteren Menschen zwischen 65 und 70 Jahren wirkte das Sporteln.
Interessanterweise hatte eine Arbeit mit vier Studien zu Bluthochdruckpatienten nicht das übliche Strampeln auf dem Rad untersucht, sondern eine Tanztherapie. Und die damit erreichte Drucksenkung lag mindestens in dem Bereich wie bei den üblichen Ausdauersportarten.
Ob ein hochintensives Intervalltraining (HIIT) gegen den Druck mehr tut als das gewöhnliche Vorgehen, diskutieren die Experten noch – vor allem für wen es sich eignet. Für Kranke mit hohem kardiovaskulärem Risiko empfehlen sie Zurückhaltung, allenfalls könnte das HIIT im Wechsel mit moderateren Übungen stattfinden.
Insgesamt kann eine aerobes Ausdauertraining, konsequent durchgeführt, den Blutdruck bei Hypertonikern um bis zu 7,6/4,7 mmHg senken, um 1,9/1,7 mmHg bei Grenzwert-Hypertonie und um 2,4/2,6 mmHg bei Menschen im Normbereich, fassen die Wissenschaftler zusammen.
Dynamisches Training gegen Widerstand
Muskelaufbautraining spielt eher eine Stiefkindrolle in den Untersuchungen. Dabei wirkt es teilweise stärker als klassische aerobe Sportarten. Verschiedene Faktoren beeinflussen den Effekt, etwa Alter und Geschlecht, aber auch wie häufig das Training erfolgt und wie viele Übungen der Patient pro Sitzung ausführt.
Isometrisches Muskeltraining gegen Widerstand
Dabei passiert doch eigentlich wenig, mag man denken – weit gefehlt. Auch diese Methode senkt den Druck, und zwar bei Normotonie stärker als bei erhöhten Werten.
Kombinierte aerobe und Kraftübungen scheinen vor allem bei manifestem Bluthochdruck wirksam, gegen den Grenzwert-Hypertonus nützen sie weniger. Die Beweislage ist aber noch dünn.
Zusammengefasst empfehlen die Autoren
- für Patienten mit bestehendem Bluthochdruck primär aerobes Ausdauertraining; Muskeltraining kommt erst in zweiter Linie;
- für Patienten mit grenzwertigem Druck ein Muskelaufbautraining, bei weiteren kardiovaskulären Risiken kann ein zusätzliches Ausdauertraining indiziert sein;
- für Patienten mit Normaldruck ein isometrisches Training als Methode der Wahl; das gilt vor allem im Fall einer positiven Familienanamnese für Hypertonie oder früherem Schwangerschaftshypertonus. Eine Kombination mit Ausdauersport empfiehlt sich bei zusätzlichen Herz-Kreislauf-Risikofaktoren.
Trotz der nachgewiesenen Vorteile treiben noch viel zu wenige Betroffene regelmäßig Sport. Möglicherweise könnte hier ein Motivationstraining helfen, schließen die Kollegen.
Quelle: Hanssen H et al. Eur J Prev Cardiol 2021; DOI: 10.1093/eurjpc/zwaa141