Neurologischer Science Slam: Zerebrale Sanduhr und Mäuse auf Koks
Auf der Suche nach der Sanduhr für gesunden Schlaf
Dr. Lars Dittrich sorgt sich um Dornröschen. Die Märchenfigur wurde bekanntlich von einer Hexe verflucht: Sterben sollte sie am 15. Geburtstag durch den Stich an einer Spindel. Eine gute Fee konnte den Fluch in 100-jährigen Schlaf abmildern. Dr. Dittrich, Biologe am Forschungszentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Köln, sucht die Sanduhr, sinnbildhaft der Gradmesser für eine ausgeglichene, d.h. gesunde Schlaf-wach-Bilanz, um sie zu manipulieren und so Dornröschen aufzuwecken.
In Tierversuchen konnte er schon zeigen, dass bestimmte regulatorische T-Zellen im ZNS diese Sanduhr gesehen haben müssen. Gelänge es, sie im menschlichen Gehirn zu orten, würde eine gezielte Beeinflussung von Schlafqualität und -quantität zum erreichbaren Ziel. Und falls er es schafft, Dornröschen wachzuküssen, hat Dr. Dittrich auch schon ihre Zukunft geplant: nicht als Prinzgemahlin, sondern – natürlich – als Neurowissenschaftlerin.
Was Darmflora und Hirnkrankheiten verbindet
Vor Dr. Dittrichs Märchenstunde waren schon drei Kollegen in den Ring gestiegen. Außer Konkurrenz gab Professor Dr. Ulrich Dirnagl, Neurologe der Charité Universitätsmedizin, den Startschuss mit der Rolle des intestinalen Mikrobioms. Unter Schlagworten wie „Darm und Depression“ ist das Thema in letzter Zeit durch Buchveröffentlichungen und Internetauftritte höchst präsent. Sogar Anleitungen für Fäkaltransplantationen Marke Eigenbau gibt es auf Youtube & Co. zu sehen.
Prof. Dirnagl warnte aber davor, aus Koinzidenzen Kausalitäten herzustellen. Bis dato gibt es nun einmal keine Studien, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Darmflora und Hirnkrankheiten belegen. Daher sei bei Ratschlägen, wie die Darmflora gezielt beeinflusst werden könne, um das Hirn gesund zu halten, immer Vorsicht geboten, warnte Prof. Dirnagl – selbst wenn sie von Medizinern erteilt werden. Übrigens: Eine Stuhltransplantation ist nach wie vor allenfalls bei rekurrenten oder rezidivierenden Infektionen mit Clostridium difficile indiziert.
Durchzug bei Männer-Ohren
Warum hören Männer ihren Frauen nicht zu, wenn im Fernsehen Fußball läuft? Mit dieser Frage eröffnete Professor Dr. Berend Feddersen, Palliativmediziner am Klinikum München, die eigentliche Slam-Schlacht. Im letzten Jahr hat er den Science Slam der DGN in Leipzig gewonnen und tritt gerne mit Perücke auf – dieses Mal Modell Hamster mit Dauerwelle.
2018 hat sich der Kollege des Oculo-auricular-Phänomens angenommen, das zur Diagnose der Abduzensparese herangezogen werden kann. Kurz gefasst geht es darum, dass Augen und Ohren, neurologisch gekoppelt, auf Reize gleichsinnig reagieren. Blickrichtung fokussiert Hörrichtung, und zwar durch gezielte Bewegung und Ausrichtung des Ohrs per Retroaurikularmuskel. Dies erlaubt, einen neuronalen Defekt zu lokalisieren: Reagieren Auge und Ohr nicht auf den akustischen Reiz, liegt das Problem supranukleär im ZNS. Reagiert das Auge nicht, aber das Ohr (weil von kontralateral mitstimuliert), hat der periphere Abduzensnerv Schaden genommen.
Das Oculo-auricular-Phänomen sollten sich Frauen zunutze machen, meint Prof. Feddersen. Und ihre Männer von der Seite ansprechen, falls die wieder einmal, scheinbar spontan taub geworden, vor dem Fernsehgerät sitzen.
Was ist ein Science Slam?
Wie man Erinnerungen Demenzkranker fördern kann
Neuropsychologe Dr. Andreas Blessing aus Kreuzlingen beschäftigt sich mit der Frage, wie Erinnerungen generiert werden. Er beschrieb Versuchsreihen mit Demenzkranken, denen Porträtfotos gezeigt wurden. Diese waren von Kommentaren begleitet, die auf gute oder schlechte menschliche Eigenschaften schließen ließen. Auch wenn sich die Probanden später nicht mehr daran erinnern konnten, die Bilder schon einmal gesehen zu haben, verbanden sie doch Einschätzungen der Person damit. Womöglich eröffnen solche Versuche einen anderen Zugang zum Erinnerungsvermögen und zu neuen neuropsychologischen Behandlungsmethoden von Demenzsymptomen.Freddy auf Koks
Dass Wissenschaftlerinnen ihren männlichen Kollegen beim Science Slam mindestens ebenbürtig sind, bewies u.a. Caterina Luis vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim. Sie beschäftigt sich mit den neurologischen Grundlagen von Suchterkrankungen, und am Beispiel von Freddy der Maus demonstrierte sie, wie Sucht und Craving im Belohnungssystem des Gehirns entstehen. In einen Käfig gesperrt, erhielten Freddy und seine Artgenossen immer dann Kokain, wenn sie einem Licht-impuls folgend in einem kleinen Loch in der Käfigwand stocherten. Nach erfolgter Konditionierung bearbeiteten sie dieses Loch eine Zeit lang auch ohne Lichtreiz und Belohnung weiter, bis sie das Verhalten irgendwann aufgaben. Das Suchtgedächtnis, bei dem Nucleus accumbens und der präfrontale Cortex eine zentrale Rolle spielen, konnte aber sogar nach längerer, zwangsweiser Enthaltsamkeit schnell wieder aktiviert werden – allein durch die Lichtimpulse.Inhibitorische Interneurone als Wander-Dirigenten
Lässt sich das Gehirn mit einem Orchester vergleichen? Und wenn ja, wer dirigiert das Konzert? Eine Antwort gab Dr. Kiara Aiello, Neurobiologin aus Venezuela und derzeit in Berlin tätig: Vergleichbar mit Instrumentengruppen in einem Orchester gibt es kleine Schaltkreise, an denen inhibitorische Interneurone wesentlich beteiligt sind. Wie beim Dirigenten, der an manchen Stellen eines Musikstücks beispielsweise die Bläser in den Hintergrund rückt, um ihnen im nächsten Moment wieder volles Gewicht zu geben, könne man sich auch ihre Rolle vorstellen. Die weiten Wege, die diese „Wanderneuronen“ regelmäßig bei ihrer Aktivität im Gehirn zurücklegen, zeigten zwei eindrucksvolle Videosequenzen aus dem Labor von Dr. Aiello.And the winner is ...
Die Abstimmung des Publikums gewonnen hat – wenig überraschend – Dr. Dittrich. Wer sich von seinen Qualitäten überzeugen möchte: www.youtube.com/watch?v=mmjfPZRGFKI.Quelle: Kongressbericht, NEUROWOCHE 2018