Medizinische Notfälle unterwegs Samariter auf Reisen

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Wenn die Flugbegleiterin zum Hörer greift, geht es auch um Turbulenzen – manchmal sind sie medizinischer Natur. Wenn die Flugbegleiterin zum Hörer greift, geht es auch um Turbulenzen – manchmal sind sie medizinischer Natur. © SPS Media – stock.adobe.com

Ein medizinischer Notfall auf einem Langstreckenflug kommt gar nicht so selten vor. Insbesondere Vielflieger haben gute Chancen, um ärztliche Hilfe gebeten zu werden. Dann ist es gut zu wissen, womit man rechnen muss, welche Möglichkeiten man an Bord hat und wie die haftungsrechtliche Lage aussieht.

Ob an Bord von Verkehrsflugzeugen, Zügen oder Schiffen: Bei einem medizinischen Notfall stehen Sie als Arzt immer ungewohnten Herausforderungen gegenüber. Im Allgemeinen können Sie sich nicht auf die Zusammenarbeit mit geschultem Personal verlassen, die verfügbare Ausrüstung ist möglicherweise suboptimal und oftmals haben Sie auch noch wenig Platz. Oft muss improvisiert werden, schreiben Prof. Dr. Jochen Hinkelbein und Dr. Sunil Jagoda von der Universitätsklinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin am Johannes Wesling Klinikum Minden.

Flugzeuge

Da die Bevölkerung und damit auch Flugpassagiere immer älter werden, haben Sie bei einem Notfall häufig einen vorerkrankten Patienten vor sich. Denn Komplikationen von bereits vorhandenen medizinischen Problemen machen etwa zwei Drittel aller Notsituationen aus. Ein Faktor, der dabei mitspielt, ist der geringere Luftdruck in der Kabine, der etwa einer Höhe von 2.000 bis 2.500 Metern über dem Meeresspiegel entspricht. Dies lässt den Sauerstoffpartialdruck sinken, eine O2-Sättigung von 90 – 95 % ist hier normal. Für Gesunde ist das kein Problem, bei präexistierenden kardialen oder pulmonalen Störungen jedoch kann dieser Abfall den Zustand von Betroffenen akut verschlechtern. 

Bei neu aufgetretenen Ereignissen dominieren Herz-Kreislauf-Probleme (Kollaps, Synkope) und Infektionen (z.B. Gastroenteritis). Insgesamt tritt ein medizinischer Notfall mit einer 95%igen Wahrscheinlichkeit bei einem von 24 Interkontinentalflügen auf. Bei einer Frequent-Flyer-Card ist der Notfall quasi inkludiert, schreiben die Autoren.

An Bord eines Verkehrsflugzeugs muss sich ein Erste-Hilfe-Kasten befinden. Das Kabinenpersonal ist in entsprechenden Maßnahmen geschult. Bei mehr als 30 Passagieren ist außerdem ein Notfallkoffer vorgeschrieben. Der Standort ist meist mit einem grünen Kreuz kenntlich gemacht, das Kabinenpersonal hat den Schlüssel. Hier findet man in der Regel ausreichend Medikamente und Materialien, beispielsweise Infusionslösungen und Zugänge. Allerdings unterscheidet sich die Ausstattung je nach Airline. Ein AED ist bei europäischen Airlines nicht verpflichtend vorgeschrieben, oft aber trotzdem vorhanden.

Einem Herz-Kreislauf-Stillstand liegt fast immer eine ventrikuläre Tachykardie oder ein Kammerflimmern zugrunde. Daher ist ein AED hilfreich und – falls vorhanden – in der Anwendung unproblematisch. Eine Reanimation dagegen muss sich ggf. den engen Platzverhältnissen anpassen und ist dann nur über Kopf möglich. Das Blutdruckmessen und Auskultieren kann wegen des Lärms und der Vibrationen in der Kabine erschwert sein.

Informieren und trainieren

Über das Programm „Arzt an Bord“ der Lufthansa-Gruppe kann man Fortbildungskurse buchen und Informationen zur Notfallausrüstung an Bord erhalten. Man kann sich dort auch registrieren lassen, damit die Crew bei einem Flug den Arzt unter den Passagieren gleich findet. Sind Sie sich bei einer medizinischen Notlage im Flieger unsicher, was zu tun ist, ist es oft möglich, über Satellitentelefon ein Medical Operation Center zu kontaktieren, in dem rund um die Uhr ein erfahrener Kollege beraten kann. Welche Möglichkeiten konkret zur Verfügung stehen, lässt sich ebenfalls im Vorfeld prüfen.

Könnten Sie für fehlgeschlagene Erste-Hilfe-Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen werden? Grundsätzlich gilt das Haftungsrecht des Landes, unter dessen Flagge das Flugzeug fliegt. Der 1998 beschlossene Aviation Medical Assistance Act (Good Samaritan Law) stellt bei amerikanischen Fluggesellschaften helfende Ärzte i.d.R. von der Haftung frei, wenn sie nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Sollte Ihrer Meinung nach eine außerplanmäßige Zwischenlandung notwendig sein, können Sie eine entsprechende Empfehlung aussprechen. Die letzte Entscheidung liegt jedoch beim Flugkapitän. Er muss dabei die medizinische Weiterversorgung vor Ort, die verbleibende Flugstrecke, Wetterbedingungen und nicht zuletzt die Kos­ten berücksichtigen.

Bahn

Bei einem medizinischen Notfall auf einer Zugfahrt spielt die Informationskette eine zentrale Rolle. Da ein ICE bis zu 800 m lang sein kann, muss die Notfallleitstelle über Zugnummer, Wagen, Sitzplatz und Fahrtrichtung informiert werden. Darum kümmert sich der von Ihnen kontaktierte Zugbegleiter. Nur falls dieser nicht erreichbar ist, sollte man die 112 wählen. Die Ausrüstung für Notfälle in Zügen ist nicht standardisiert – evtl. finden Sie in Regionalzügen nur einen einfachen Verbandskasten. ICE verfügen über einen recht gut ausgestatteten Notfallkoffer.

Schiffe

Auf Kreuzfahrtschiffen werden Sie als ärztlicher Passagier selten gefordert sein. Denn es gibt einen eigenen Schiffsarzt, der ab 100 Personen an Bord vorgeschrieben ist, Medikamente und dezidierte Behandlungsräume. Bei Handelsschiffen, Segelyachten, Lotsenbooten etc. und großen Entfernungen zum Festland ist die Besatzung meist auf sich allein gestellt. Die medizinische Ausstattung variiert sehr stark.

Quelle: Hinkelbein J, Jagoda S. Dtsch Med Wochenschr 2024; 149: 375-385; DOI: 10.1055/a-2186-1762