Sechs unterschiedliche Subtypen des Prädiabetes entdeckt
Bisher konnte man bei Menschen mit Prädiabetes nicht vorhersehen, ob sie einen Diabetes entwickeln und Risiken für schwere Folgeerkrankungen wie Nierenversagen haben oder nur eine harmlose Form von leicht höheren Blutzuckerwerten ohne bedeutsames Risiko aufweisen“, so Professor Dr. Dr. hc mult. em. Hans-Ulrich Häring. Eine solche Unterscheidung wäre jedoch eine wichtige Voraussetzung dafür, dem Typ-2-Diabetes früh und gezielt vorzubeugen. Diesem Ziel sind Forschende des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen, des Universitätsklinikums Tübingen und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) nun ein gutes Stück näher gekommen – dank einer Studie, die Prof. Häring vor 25 Jahren gemeinsam mit Professor Dr. Andreas Fritsche am Universitätsklinikum Tübingen initiierte.
Die Arbeit basiert auf einer Analyse der Stoffwechselparameter von 899 Teilnehmenden der Tübinger Familienstudie (TUEF) und der Studie des Tübinger Lebensstilprogramms (TULIP). Die Probanden wurden in den vergangenen 25 Jahren wiederholt intensiv klinisch, laborchemisch, kernspintomografisch und genetisch untersucht. Zudem dokumentierte die Studienärzteschaft das Auftreten von Nieren- und Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes sowie die Mortalität.
Nicht immer korrelierte Übergewicht mit schlechter Prognose
Mittels einer Clusteranalyse identifizierten die Forschenden sechs klar voneinander abgrenzbare Subtypen. Diese konnten auch bei 6810 Probanden der Londoner Whitehall-II-Kohorte bestätigt werden. Die Cluster 1, 2 und 4 zeichneten sich durch ein niedriges Risiko für Typ-2-Diabetes sowie dessen Folgeerkrankungen aus. Normalgewichtige, dem Cluster 2 zugeordnete Menschen hatten eine besonders gute Gesundheitsprognose. Doch auch bei Übergewichtigen des Clusters 4 traten selten Diabetes oder damit zusammenhängende Probleme auf. Erkrankten Personen dieser drei Cluster doch an Typ-2-Diabetes, so war dieser meist mild ausgeprägt.
Clusteranalyse
Quelle: Pressemitteilung des DZD
Risikogruppe für frühe Nierenschäden identifiziert
Dem Cluster 6 zugeordnete Personen zeichneten sich durch Fettleibigkeit mit einem hohen Anteil viszeralen Fettes und renalen Sinusfettes aus. Im Gegensatz zu den Subtypen 3 und 5 hatten sie jedoch nur ein moderat erhöhtes Diabetesrisiko – obwohl etwa die Hälfte der Tübinger Cluster-6-Probanden anfangs bereits erhöhte Glukosewerte aufwies. In dieser Gruppe traten oft, auch vor einer Diabetesmanifestation, schwere Nierenerkrankungen auf. Entwickelten Betroffene einen Diabetes, war dieser in der Mehrheit der Fälle schwer und durch Insulinresistenz gekennzeichnet. Die Gesamtsterblichkeit war im Cluster 6 gegenüber Cluster 1 um 40 % gesteigert. „Wie beim manifesten Diabetes gibt es auch im Vorstadium des Diabetes unterschiedliche Krankheitstypen, die sich durch Blutzuckerhöhe, Insulinwirkung und Insulinausschüttung, Körperfettverteilung, Leberfett sowie genetisches Risiko unterscheiden“, fasst Erstautor Professor Dr. Robert Wagner vom IDM zusammen. „Die Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt in Richtung Präzisionsmedizin. Daran arbeiten wir im DZD weiter“, sagt DZD-Vorstand Professor Dr. mult. Martin Hrabe de Angelis. In den nächsten Schritten soll prospektiv geprüft werden, inwiefern die neue Klassifikation für eine Einteilung einzelner Personen in Risikogruppen anwendbar ist.Quelle: Wagner R et al. Nat Med 2021; DOI: 10.1038/s41591-020-1116-9 und Pressemitteilung des DZD