Ernährungskonzepte Seltene Nierenerkrankungen
Seltene Nierenerkrankungen umfassen mehr als 300 erbliche, angeborene oder erworbene Krankheiten. Insgesamt sind mindestens zwei Millionen Europäer betroffen. Mehr als zehn Prozent der Erwachsenen und fast alle Kinder mit terminaler Niereninsuffizienz leiden an einer seltenen Nierenerkrankung.
Individuelle Ernährungskonzepte
Ernährungskonzepte für Patienten mit seltenen Nierenerkrankungen müssen individuell angepasst werden, abhängig von der spezifischen Pathologie und den aktuellen Ernährungsrichtlinien. Nicht für alle seltenen Nierenerkrankungen stehen detaillierte Ernährungsinformationen zur Verfügung. In den meisten Fällen gelten die Empfehlungen, die das Fortschreiten der Nierenerkrankung verlangsamen oder aufhalten können. Dazu gehören eine Reduktion der Kochsalzzufuhr unter 6 g/Tag, eine eiweißnormalisierte Ernährung mit 0,8 - 1g pro kg Körpergewicht bei „metabolisch stabilen“ Personen, eine Reduktion von Übergewicht und ggf. eine Anpassung der Kalium- und Phosphorzufuhr. Es bieten sich pflanzenbetonte Ernährungsmuster (z.B. mediterrane Kost, DASH-Diät) an, die mit Ballaststoffen, organischen Basen, gesunden Fetten und sekundären Pflanzenstoffen die Begleiterscheinungen einer Nierenerkrankung günstig beeinflussen können (1). Neben der Ernährung sind weitere Lebensstiländerungen zu empfehlen, die sich positiv auf das Krankheitsgeschehen auswirken können. So können Nikotinverzicht, körperliche Aktivität, Stressvermeidung und ausreichend Schlaf das Entzündungsgeschehen grundsätzlich beeinflussen. Bei Nierenerkrankungen im Frühstadium (CKD 1 und 2) wird der Verzicht auf hochprozessierte Lebensmittel empfohlen. Ein erhöhter Verzehr dieser Produkte wird mit einer beschleunigten Progression in Verbindung gebracht (2).
Erfolge mit ketogener Diät
Forscherinnen und Forschern für seltene Nierenerkrankungen der Universität Köln ist ein vielversprechender Durchbruch im Rahmen der Behandlung von Menschen mit polyzystischer Nierenerkrankung (ADPKD) gelungen. In einer randomisierten kontrollierten Studie konnten sie zeigen, dass sich eine ketogene Ernährung positiv auf die erblichen Zystennieren auswirken kann (3). An der Studie nahmen 66 betroffene Patientinnen und Patienten teil, die in 3 Gruppen eingeteilt wurden: Eine Gruppe ernährte sich drei Monate lang ketogen (KD), eine zweite Gruppe praktizierte monatlich ein dreitägiges Wasserfasten (= ausschließlich Wasser trinken, WF), das ähnliche Effekte wie eine ketogene Ernährung hat. Gruppe 3 folgte als Kontrollgruppe den üblichen Ernährungsempfehlungen. Die Studienteilnehmer wurden regelmäßig auf Ketonkörper im Blut untersucht, um nachzuweisen, dass sie sich tatsächlich so ernährten, wie es das Studiendesign vorsah. Bereits nach 3 Monaten zeigten sich in der KDGruppe positive Veränderungen. Es kam zu einer signifikanten Reduktion des Körperfettanteils und des Lebervolumens. Die ketogene Diät konnte mit einer Verringerung des Nierenvolumens in Verbindung gebracht werden, allerdings ohne statistische Signifikanz.
Interessanterweise zeigte die KD-Gruppe am Ende der Behandlung eine Verbesserung der Nierenfunktion, während die Kontroll- und die WF-Gruppe eine fortschreitende Verschlechterung aufwies, wie sie für die ADPKD typisch ist. Trotz dieser durchaus gravierenden Einschnitte in die Ernährung bewerteten 95 Prozent der Patient:innen in der KDGruppe und 85 Prozent in der Wasserfastengruppe die Ernährung als „machbar“. Sie widerlegten damit die im Vorfeld geäußerte Kritik, dass eine solche Ernährungsumstellung im Alltag nicht möglich sei. Darüber hinaus zeigen ADPKD-Patient:innen eine hohe Motivation bezüglich der therapeutischen Optionen, was auch mit dem Wissen um den Krankheitsverlauf bei anderen Familienmitgliedern erklärt werden kann.
Ketogene Ernährungstherapie
Die ketogene Diät ist eine kohlenhydratlimitierte, eiweiß- und energiebilanzierte Ernährungsform, die in der Medizin zu therapeutischen Zwecken eingesetzt wird. Dabei wird die Kohlenhydratzufuhr so weit reduziert, dass der Körper beginnt, seinen Energiebedarf nicht mehr aus Glukose, sondern überwiegend oder ausschließlich aus Fett und den daraus gebildeten sogenannten Ketonkörpern zu decken, die als Ersatz für Glukose dienen.
Auch Proteine können im Stoffwechsel zu Glukose umgewandelt werden, um den Blutzuckerspiegel aufrechtzuerhalten und damit vor allem das Gehirn mit Energie zu versorgen.
Im Hungerzustand greift der Körper zunächst auf die Glykogenreserven in der Leber zurück und stellt dann zunehmend auf den Hungerstoffwechsel um. Fett- und Proteinreserven werden zu Ketonkörpern abgebaut, um den Energiebedarf des Gehirns, der bei etwa 20 Prozent der Gesamtenergie liegt, auf alternative Weise effizient zu decken.
Essen während der Dialyse
Seit der Corona-Epidemie hat sich die Versorgung der Patienten in den Dialysezentren in vielen Fällen grundlegend geändert. Teilweise werden nur noch Getränke angeboten, Eiweißriegel und kleine Snacks haben die früher üblichen belegten Brötchen und warmen Mahlzeiten ersetzt. Kostengründe und Personalmangel haben vielerorts dazu geführt, dass die Verpflegung an der Dialyse deutlich reduziert wurde. Das ist bedenklich, denn die Patienten verbringen bis zu 50 Prozent ihrer Wachzeit an der Dialyse oder auf dem Weg dorthin und zurück. Die Dialyse selbst hat katabole Effekte. Kommt noch eine reduzierte Nahrungsaufnahme hinzu, die unter Umständen durch eine Ruhepause nach der Dialyse noch verlängert wird, ist davon auszugehen, dass die Patienten an diesen Tagen nicht ausreichend mit Kalorien, vor allem aber mit Eiweiß, versorgt sind. Einfache Snacks und Proteinriegel können dieses Defizit nicht ausgleichen. Frau Dr. Knöller hat in ihrem Beitrag (Nierenarzt 4/2023) gezeigt, wie mit einer eiweißreichen Mahlzeit (Sahnequark mit Obst oder Salat mit Mozzarella) und einer Handvoll Nüsse oder Mandeln dem Energie- und Eiweißdefizit am Dialysetag entgegengewirkt werden kann. Besteht keine Möglichkeit, den Patienten im Dialysezentrum ausreichend mit Kalorien zu versorgen, könnte diese Lücke durch Eigeninitiative des Patienten geschlossen werden, sofern die Regeln der Einrichtung dies zulassen. So könnten Patienten die für ihre Ernährungssituation geeigneten Lebensmittel oder Mahlzeiten mit zur Dialyse bringen. Rezepte oder das Besprechen von günstigen Snacks, Salaten, Quarkspeisen etc. (s.o.) unterstützen die Auswahl der PatientInnen. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Speisen ohne großen Aufwand aus der Verpackung genommen und leicht zu verzehren sind. Möglicherweise organisieren sich die Patienten, um abwechselnd etwas Nahrhaftes für den jeweiligen Dialyseraum mitzubringen. Bei Patienten, bei denen die Einnahme einer Mahlzeit während der Dialyse zu Komplikationen führt, sollte sichergestellt werden, dass zeitnah eine qualitativ hochwertige Nahrungszufuhr erfolgt.
Widerstand gegen mehr Gemüse groß
Die mediterrane Ernährung für chronisch Nierenkranke und Dialysepatienten ist in aller Munde. Ob sie bei den Betroffenen tatsächlich auf dem Teller und im wahrsten Sinne des Wortes im Mund ankommt, ist fraglich. Zu zurückhaltend sind die Reaktionen aller Beteiligten – sowohl der Patientinnen und Patienten als auch des Pflegepersonals und Ärztinnen und Ärzte. „Das darf ich doch nicht essen“ oder „Das ist gefährlich“ haben sich tief in den Köpfen eingebrannt. Mit den gesundheitsfördernden und neuen Genuss versprechenden Empfehlungen einer mediterranen oder pflanzenbetonten Ernährung wird landauf, landab gefremdelt. Frisches Gemüse oder Fisch seien nicht für alle Patienten erschwinglich, lautet ein häufiges Argument, das mit saisonalen Angeboten und Tiefkühlprodukten durchaus entkräftet werden kann. Weniger Fleisch und mehr pflanzliche Kost ist für manche Patienten nur schwer vorstellbar. Liebgewonnenes gibt man nicht so schnell freiwillig auf. Zumal „Fleisch ist mein Gemüse“ schon ein starkes Argument ist. Oder fällt es schwer, sich von jahrzehntelangen Empfehlungen zu verabschieden und sich neuen Herausforderungen in der Ernährung zu stellen?
Das Mikrobiom hat sich als neuer Akteur im Gesundheitsgeschehen etabliert, seine Zusammensetzung wird wesentlich durch unsere Ernährung reguliert. Die Studienlage dazu wächst und damit auch das Wissen darüber, wie Ballaststoffe und Co. das Entzündungsgeschehen, Azidose, Obstipation etc. beeinflussen. Unsere Fokussierung auf einzelne Nährstoffe hat wenig mit Ernährung und noch weniger mit Essen zu tun. Es ist ein Zusammenspiel vieler Nährstoffe und Stoffwechselvorgänge, selten der Alleingang eines Nahrungsbestandteils. Können wir sicher sein, dass ein Patient, der mit einer Hyperkaliämie in die Notaufnahme kommt, das „Falsche“ gegessen hat? Leidet er vielleicht schon länger an Verstopfung? Hat er aus Kummer oder Appetitlosigkeit aufgehört zu essen? Oder hat er beim Grillen zwar auf den Kartoffelsalat, nicht aber auf die üppigen Fleischportionen verzichtet, die ihm neben viel Kalium auch eine hohe Säurelast bescheren?
Es hapert an der Umsetzung
Aus der Praxis der Ernährungsberatung weiß ich, dass Beratung wenig erfolgversprechend ist, wenn Impulse gegeben werden, aber das Wissen nicht zum Handeln führt. So erlebe ich gerade die aktuelle Situation: Die Studienlage zeigt neue Möglichkeiten auf, gangbare Wege für die Umsetzung müssen aber noch entwickelt und etabliert werden. Diese Aufgabe wird in der Regel von DiätassistentInnen, OecotrophologInnen oder ernährungsmedizinisch weitergebildetem Pflegepersonal übernommen, sofern diese in den Dialysezentren vertreten sind bzw. Zeitkontingente für die Beratung haben. Aber auch hier müssen noch Erfahrungen mit dem eingeleiteten Paradigmenwechsel gesammelt und Antworten auf bisher undenkbare Fragen gefunden werden: Ist bei einer Kaliumaufnahme von 50 bis 60 Prozent aus unverarbeiteten pflanzlichen Lebensmitteln ein frischer Apfel jetzt günstiger als Kompott? Sollen Kartoffeln weiterhin klein geschnitten und in viel Wasser gekocht werden? Sollte man mehr auf schnell resorbierbare Kaliumquellen achten, wie z.B. Nahrungsmittel mit Kaliumzusätzen, um eine fast vollständige Resorption oder eine postprandiale Hyperkaliämie zu vermeiden? Welchen Patienten kann ich sagen, dass Kalium nicht in den in den Nährwerttabellen angegebenen Mengen resorbiert wird, ohne eine ausufernde Zufuhr zu riskieren? Es gibt keinen Königsweg in der Ernährung. Das sollte aber niemanden davon abhalten, auch beim Essen etwas Neues zu wagen. Vielleicht sind es für den Anfang die zwei Handvoll Mandeln, die Lambert und Kollegen 20 Hämodialysepatienten über 10 Wochen empfohlen haben (4).
Fazit dieser Intervention: Keine Veränderungen bei Serumkalium und -phosphor, aber signifikante Verbesserungen etwa bei Obstipation, Lebensqualität und Juckreiz. Oder Patienten werden ermutigt, auf Vollkornbrot umzusteigen. Der Kalium-Ballaststoff-Quotient kann Experimentierfreudigen helfen, eine sinnvolle Auswahl zu treffen, wenn zum Beispiel eine zusätzliche Portion Obst den Speiseplan bereichern soll. Es geht nicht darum, auf Anhieb eine gesundheitsfördernde Ernährungsweise in ihrer Gesamtheit zu etablieren. Schön wäre es, schrittweise mit kleinen und einfachen Veränderungen zu beginnen. Sozusagen auf Sicht fahren. Und zusammen mit dem Patienten neue Erfahrungen zu machen.
Quellen:
1. Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) CKD Work Group. KDIGO 2024 Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease. Kidney Int. 2024 Apr;105(4S):S117-S314. doi: 10.1016/j.kint.2023.10.018. PMID: 38490803
2. Avesani CM, Cuppari L, Nerbass FB, Lindholm B, Stenvinkel P. Ultraprocessed foods and chronic kidney disease-double trouble. Clin Kidney J. 2023 May 4;16(11):1723-1736. doi: 10.1093/ckj/ sfad103. PMID: 37915903; PMCID: PMC10616474.
3. Cukoski S, Lindemann CH, Arjune S, Todorova P, Brecht T, Kühn A, Oehm S, Strubl S, Becker I, Kämmerer U, Torres JA, Meyer F, Schömig T, Hokamp NG, Siedek F, Gottschalk I, Benzing T, Schmidt J, Antczak P, Weimbs T, Grundmann F, Müller RU. Feasibility and impact of ketogenic dietary interventions in polycystic kidney disease: KETO-ADPKD-a randomized controlled trial. Cell Rep Med. 2023 Nov 21;4(11):101283. doi: 10.1016/j. xcrm.2023.101283. Epub 2023 Nov 7. PMID: 37935200; PMCID: PMC10694658.
4. Lambert K, Bird L, Borst AC, Fuller A, Wang Y, Rogers GB, Stanford J, Sanderson-Smith ML, Williams JG, McWhinney BC, Neale EP, Probst Y, Lonergan M. Safety and Efficacy of Using Nuts to Improve Bowel Health in Hemodialysis Patients. J Ren Nutr. 2020 Sep;30(5):462-469. doi: 10.1053/j.jrn.2019.10.002. Epub 2020 Jan 27. PMID: 32001127
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Nierenarzt/Nierenärztin 4/2024