Fournier-Gangrän Tod aus der Tiefe
Bei der nekrotisierenden Fasziitis handelt es sich um eine i.d.R. polymikrobielle Weichteilinfektion, die entlang des subkutanen Fettgewebes und der Muskelfaszien fortschreitet. Als Eintrittspforten dienen kleinste Hautverletzungen und chirurgische Wunden. Entscheidende Bedeutung für die Prognose hat die frühe radikale Operation. Eine Sonderform ist die Fournier-Gangrän der Vulva. Hamburger Kollegen präsentieren zwei Fälle.
Fall 1: Fieber mit unklarem Fokus
Die erste Patientin kommt mit Fieber (39 °C), Atembeschwerden und reduziertem Allgemeinzustand ins Krankenhaus. Zusätzlich besteht ein entgleister Diabetes (BZ 348 mg/dl, HbA1c 11,9 %) und Hypertonus (RR 209/98 mmHg) sowie eine Adipositas permagna (BMI 45 kg/m2). Unter der Verdachtsdiagnose Pneumonie wird die 62-Jährige zunächst in die Innere aufgenommen. Die Röntgenthorax-Aufnahme ergibt jedoch kein Lungeninfiltrat, stattdessen zeigen sich laborchemisch eine Harnwegsinfektion und ein massiv erhöhtes CRP (200 mg/l). Trotz Antibiotikatherapie steigen Fieber und Infektionsparameter.
Über Schmerzen im Genitalbereich klagt die Patientin erstmals in der Nacht zum fünften Behandlungstag, so Dr. Laura Radtke von der Frauenklinik am Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg und Kollegen. Die gynäkologische Untersuchung ergibt ein Erythem und eine Schwellung des Mons pubis, die sich bis auf die rechte Labia majora und den Unterbauch ausbreitet. Aufgrund des klinischen und CT-Befundes vermuten die Ärzte eine nekrotisierende Fasziitis der Vulva.
Noch in derselben Nacht wird die Frau operiert: Es erfolgt ein großflächiges Débridement mit Abtragung der nekrotischen Hautareale im Vulvogenitalbereich sowie an der Oberschenkelinnenseite und am Unterbauch rechts. Dabei werden neben der Faszie auch Anteile des M. rectus abdominis und der transversalen Bauchmuskulatur entfernt.
Nach dem Eingriff wird die Patientin analgosediert, intubiert und katecholaminpflichtig auf Intensiv verlegt. Für einen sekundären Wundverschluss sind noch fünf weitere Débridements erforderlich. Die Sedierung kann erst zwei Wochen nach dem Beginn der Intensivtherapie abgesetzt werden. Doch die Frau erwacht nicht adäquat. Als Ursache ergibt die Angio-cCT multiple embolische Hirninfarkte. Die Wunde verheilt, aber die Patientin verbleibt im Zustand des Minimalbewusstseins.
Fall 2: Schmerzen im Genitalbereich
Die zweite Patientin sucht wegen einer seit Tagen bestehenden schmerzhaften Rötung und Schwellung der rechten Labie die zentrale Notaufnahme auf. Außerdem leidet die 65-Jährige an einem metabolischen Syndrom mit Hypertonus, Diabetes und Adipositas. In der gynäkologischen Untersuchung fällt ein Erythem auf, das sich auf den Mons pubis und die rechte Leiste ausbreitet – ohne erkennbare Eintrittspforte. Trotz i.v. Antibiotikagabe steigen die Entzündungsparameter am zweiten Tag weiter an, die Patientin bleibt jedoch fieberfrei. Die MRT ergibt ein Weichteilödem, das bis zur Bauchfaszie reicht, aber ohne intraabdominelle Fortleitung. Unter der Verdachtsdiagnose einer Fournier-Gangrän erfolgt eine notfallmäßige OP. Am zweiten Tag nach dem Eingriff wird ein Vakuumverband angelegt, am achten Tag kann die Patientin auf die gynäkologische Normalstation verlegt werden. Es schließen sich 13 VAC-Verbandwechsel mit Débridement und der Einlage von Gentamicinketten an. Sieben Wochen nach der ersten OP gelingt ein kompletter Wundverschluss. Erst nach insgesamt fünf Monaten ist die Wunde vollständig verheilt. Außer einer leichten Lateralisierung des Ostium urethrae externum bestehen keine Spätfolgen.
Das Mortalitätsrisiko beträgt bei der Fournier-Gangrän 30–60 %. Die Diagnose wird oft dadurch erschwert, dass ältere Frauen Schmerzen im Genitalbereich nicht angeben oder nicht bemerken. Zu den Risikofaktoren gehören Immunsuppression und Diabetes mellitus. Hat man es mit einer unklaren Infektion zu tun, sollte bei Frauen mit diesen Konditionen gezielt auf die Erkrankung hin untersucht werden – auch außerhalb der Gynäkologie, raten die Hamburger Kollegen.
Quelle: Radtke L et al. Hamburger Ärzteblatt 2023; 77: 30-32 © Hamburger Ärzteverlag, Hamburg