Der Krieg gegen den Körper Essstörungen: Tödliche Gefahr hinter dem Ideal

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Mit Genuss haben Mahlzeiten bei Menschen, die an einer Essstörung leiden, kaum noch etwas zu tun. (Agenturfoto) Mit Genuss haben Mahlzeiten bei Menschen, die an einer Essstörung leiden, kaum noch etwas zu tun. (Agenturfoto) © Jokic/GettyImages

Essstörungen gehören zu den psychischen Erkrankungen mit hoher Mortalität. Betroffene verbergen ihr Leiden häufig geschickt – auch vor ihren Ärztinnen und Ärzten. Umso wichtiger ist ein wachsamer Blick für subtile Signale und körperliche Auffälligkeiten.

Bis zu 5 % der Menschen weltweit sind im Laufe ihres Lebens von einer Essstörung betroffen, Frauen deutlich häufiger als Männer. Risikofaktoren für die Erkrankungen sind u. a. emotionaler, körperlicher oder sexueller Missbrauch in der Kindheit, aber auch genetische Faktoren, erläutern Dr. Evelyn Attia und Prof. Dr. Timothy Walsh von der Columbia University in New York. Für Menschen aus einer von Essstörungen belasteten Familie ist die Wahrscheinlichkeit, an Anorexia nervosa, Bulimia nervosa oder einer Binge-Eating-Störung zu erkranken, merklich erhöht.

Anorexia nervosa

Ein BMI < 18,5 kg/m2 infolge zu geringer Energiezufuhr kennzeichnet eine Anorexia nervosa beim Erwachsenen. Manche der Kranken begrenzen lediglich die Kalorienmenge, um das Gewicht zu reduzieren. Andere wiederum haben zusätzlich dazu Essattacken, nach denen sie sich gezielt der übermäßig aufgenommenen Nahrung entledigen. Mitunter werden sehr strenge Ernährungsregeln befolgt oder die Betroffenen betreiben exzessiv Sport, um Energie zu verbrauchen, abzunehmen und mager zu bleiben. Die Gedanken kreisen ständig um Körpergewicht und Figur. Ernste Gesundheitsprobleme, die daraus erwachsen können, sind:

  • Osteoporose, Hormonstörungen,
  • kognitive Dysfunktion,
  • Hyponatriämie, Hypokaliämie,
  • Anämie und
  • Bradykardie.

Etwa drei Viertel der betroffenen Frauen entwickeln eine Oligo- oder eine Amenorrhö.

Bulimia nervosa

Die Bulimia nervosa ist gekennzeichnet durch wiederholtes Binge-Eating, bei dem die Betroffenen unabhängig vom Hungergefühl große Mengen an Nahrung zu sich nehmen. Um einer Gewichtszunahme zu begegnen, führen sie danach Erbrechen herbei oder greifen zu Laxanzien. In der Folge kommt es regelmäßig zu entsprechenden körperlichen Komplikationen:

  • Zahnerosionen
  • chronische Dehydratation
  • gestörter Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt

Binge-Eating-Störung

Die Binge-Eating-Störung ist durch Heißhungerattacken mit Kontrollverlust charakterisiert, die bei den Betroffenen großes Unbehagen hervorrufen. Charakteristisch ist das Fehlen kompensatorischer Maßnahmen, wodurch es zu Übergewicht oder Adipositas und den damit verbundenen kardiometabolischen Problemen kommt.

Generell sind Essstörungen mit einem erhöhten Risiko für Depres­sion, Angst- und Zwangsstörungen, Suizidalität sowie Substanzmissbrauch assoziiert. Die Lebenszeitprävalenz für Depression etwa beträgt bei Bulimie 76 %, bei der Binge-Eating-Störung 66 %, bei Anorexie knapp 50 %. Die Mortalität infolge Magersucht liegt rund sechsmal höher als bei gleichaltrigen Personen ohne die Erkrankung. Ein Viertel der Todesfälle von Anorexiebetroffenen geht auf Suizid zurück.

Die frühe Diagnose von Essstörungen wird dadurch erschwert, dass die Betroffenen ihr Problem zumeist verbergen. Deshalb sollten Ärztinnen und Ärzte bei Personen mit einem Körpergewicht unterhalb oder oberhalb der Norm stets an die Möglichkeit einer Essstörung denken, insbesondere bei psychischen Auffälligkeiten.

Die körperliche Untersuchung kann bei Anorexie eine Hypotonie, Bradykardie und Hypothermie ergeben. Manche Betroffene weisen auch ein erneutes Wachstum von Lanugohaaren im Gesicht, an Hals oder Armen auf. Erosionen der lingualen Oberfläche von Schneidezähnen deuten auf selbst induziertes Erbrechen hin. Besteht der Verdacht auf eine Essstörung, sollte ein EKG angefertigt und eine Laboruntersuchung veranlasst werden.

Die Behandlung der Essstörungen kann nur auf Basis einer vertrauensvollen und empathischen Arzt-Patienten-Beziehung gelingen. Sie zielt darauf ab, die abwegigen Vorstellungen zu Gewicht und Figur zu korrigieren und das Körpergewicht zu normalisieren. Damit bessern sich die meisten Stoffwechselprobleme in der Regel von selbst. Zum Einsatz kommen Ernährungs-, Psycho- und Pharmakotherapie.

Die Anorexia nervosa macht eine erhöhte Kalorienzufuhr erforderlich. Diese kann – falls erforderlich – durch einen nasogastrischen Tubus unterstützt werden. Jugendlichen mit psychogener Magersucht halfen familienbasierte Therapien mit Ernährungskontrolle durch die Eltern: In jedem zweiten Fall kam es innerhalb von sechs bis zwölf Monaten zur Remission. Effektive Medikamente fehlen bislang, allerdings können bei persistierender Depression SSRI eingesetzt werden.

Kognitive Verhaltenstherapien gelten v. a. bei Bulimia nervosa und Binge-Eating-Störung als Behandlung der ersten Wahl. Antidepressiva wie Fluoxetin können die Heißhungerattacken der Bulimie reduzieren, auch bei Personen ohne Depression. Liegt eine Binge-Eating-Störung vor, senken die Antidepressiva sowie das zentralnervös wirksame Stimulans Lisdexamfetamin signifikant die Häufigkeit der Heißhungerattacken. Für alle Essstörungen gilt, dass die Therapie bei Auftreten von ernsten medizinischen oder psychiatrischen Komplikationen wie Bradykardie oder Suizidalität stationär erfolgen sollte.

Quelle: Attia E, Walsh BT. JAMA 2025; DOI: 10/1001/jama.2025.0132