Essstörung „Diabulimie“ gefährdet Patienten mit Typ-1-Diabetes
Knapp 40 % der adoleszenten Mädchen mit Diabetes zeigen ein gestörtes Essverhalten, unter den gleichaltrigen Jungen sind etwa 16 % betroffen, schreibt Patricia Kirschke von der Diabetes Klinik Bad Mergentheim. Eine besondere Rolle spielt dabei das Insulin-Purging, das von den Betroffenen und in den sozialen Medien „Diabulimie“ genannt wird. Dabei handelt es sich nicht um eine klassische Essstörung. Vielmehr versuchen die Betroffenen, einer befürchteten oder realen Gewichtszunahme entgegenzusteuern. Sie verabreichen sich bewusst zu wenig oder gar kein Insulin zu den Mahlzeiten, manche verzichten sogar auf das Basalinsulin.
Es handelt sich quasi um ein Erbrechen über die Niere: Infolge der hohen Spiegel wird über sie mehr Glukose gefiltert und ausgeschieden, innerhalb kürzester Zeit kommt es zu einem massiven Gewichtsverlust. Außerdem führt der selbst induzierte Insulinmangel zu einer verstärkten Fettverbrennung – im schlimmsten Fall bis zu Ketoazidose und diabetischem Koma. Auf lange Sicht steigt das Risiko für Folgeschäden wie Retinopathie und Nephropathie ebenso wie die Mortalitätsrate.
Nur wenige berichten freiwillig von ihren Manipulationen. Deshalb empfiehlt die Diabetesberaterin, bei unzureichender Stoffwechselkontrolle ohne klare Ursache, erheblichen Blutzuckerschwankungen und stark fluktuierendem Gewicht ein Insulin-Purging auszuschließen.
Manche fälschen sogar ihre Blutzuckerwerte
Auch eine auffällige Angst vor Gewichtszunahme, hohe HbA1c-Werte sowie eine verdächtig starke Beschäftigung mit Kalorien, Kilos und Sport weisen in diese Richtung. Aus Scham fälschen Betroffene manchmal sogar ihre Glukosewerte in der Tagebuchdokumentation, bringen erst gar keine Aufzeichnungen mit oder erscheinen nicht beim vereinbarten Termin. Zur Abklärung des Verdachts empfiehlt die Autorin neben den gängigen Parametern (BMI, HbA1c etc.) eine ausführliche biografische Anamnese, z.B. mithilfe von standardisierten Fragebogen. Gezielte Fragen nach dem Essverhalten und damit verbundenen Sorgen und Ängsten können helfen, eine Essstörung zu erkennen.
Die Behandlung sollte multidisziplinär erfolgen – bei Bedarf auch stationär. Im Vordergrund steht zwar die psychologische Betreuung. Wichtig ist aber auch eine – eventuell wiederholte – Grundlagenschulung. Die Erkrankten müssen wissen, dass eine erfolgreiche Therapie des Typ-1-Diabetes ohne Insulin nicht gelingt.
Quelle: Kirschke P. Ernährungs Umschau 2020, 67: S85-S88