Ursachen der postoperativen Neuropathie erkennen
Menschen mit vorbestehender Erkrankung der peripheren Nerven oder mit Erkrankungen, die Nervenschädigungen begünstigen, haben ein erhöhtes Risiko für postoperative Neuropathien. Entsprechend sollten vor Operationen, insbesondere am Bewegungsapparat, neurologische Untersuchungen durchgeführt und Risikofaktoren dokumentiert werden, schreiben Dr. Ruple S. Laughlin und Kollegen von der Mayo Clinic. Dazu zählen etwa ein sehr niedriger oder ein sehr hoher Body-Mass-Index, Diabetes mellitus und periphere Gefäßerkrankungen, Alkoholabhängigkeit, Tabakkonsum oder eine Arthritis.
Ursache der postoperativen Komplikationen sind häufig mit dem Eingriff selbst zusammenhängende Traumen, Überdehnungen, Kompressionen oder andere Schäden, die durch die Lagerung des Patienten entstehen. Inzwischen ist aber auch belegt, dass inflammatorische Prozesse nach einer Operation eine Erkrankung peripherer Nerven nach sich ziehen kann. Dies zu erkennen ist wichtig, betonen die Autoren. Die Therapie besteht dann nämlich aus Physiotherapie und optional einer Steroidgabe.
Fünf Hinweise auf eine entzündliche Genese
Ein nochmaliger chirurgischer Eingriff mit dem Ziel der Entlastung kann die Beschwerden dagegen verschlimmern. Hinweise auf die entzündliche Natur der Operationsfolgen können sein:
- eine verzögert auftretende Neuropathie (Tage oder Wochen nach der OP)
- die postoperative Verschlechterung von Schmerz und zunehmende Schwäche
- eine Schwäche außerhalb des Gebiets, das typischerweise durch den Eingriff betroffen ist
- schwere neuropathische Schmerzen
- keine Verbesserung der Symptome in den ersten Monaten nach OP
Nach Meinung der Wissenschaftler kann bei unklaren postoperativen Neuropathien eine Nervenbiopsie helfen, eine inflammatorische Ursache zu identifizieren und dem Patienten die entsprechende Therapie zukommen zu lassen.
Häufiger – wenn auch ebenfalls sehr selten – sind mechanische Ursachen für eine postoperative Nervenschädigung. Bei der Prävention ist primär das Operationsteam gefragt, das sich schon im Vorfeld bei der Planung des Eingriffs über Risiken und Maßnahmen zur Vermeidung von Neuropathien austauschen sollte. Bei der Positionierung des Patienten sind starke Überdehnung oder hohe Druckbelastungen wie etwa auf den Ellenbogen zu vermeiden. Die Operationszeit sollte möglichst kurz sein. Ob ein Nervenblock das Risiko für eine Neuropathie erhöht, ist nicht belegt, aber bei der Regionalanästhesie sollte dieses Risiko zumindest bedacht werden.
Auch die Injektionsnadel kann bei einer Regionalanästhesie lokal ein Trauma hervorrufen oder verstärken. Bei Eingriffen in der Nähe wichtiger Nervenbahnen, beispielsweise bei der Wirbelsäulenchirurgie, aber auch bei Hüft- oder Knie-Totalendoprothesen, empfehlen die Autoren, einen Neurophysiologen hinzuzuziehen.
Physiotherapie ist essenziell für die Rekonvaleszenz
Veränderungen oder Verschlechterungen im Zusammenhang mit der Nervenleitung können mit dem Neurophysiologen und innerhalb des Teams rasch kommuniziert werden, um unmittelbar darauf zu reagieren. Nach der Operation empfehlen Dr. Laughlin und Kollegen die früh beginnende und fortlaufende Kontrolle hinsichtlich neuropathischer Symptome und die Identifizierung möglicher Auslöser, um frühzeitig intervenieren zu können. In jedem Fall ist die Physiotherapie ein wichtiger Bestandteil der Behandlung und essenziell für die Rekonvaleszenz.
Bislang vor allem retrospektive Studien
Insgesamt ist das Risiko für eine anhaltende und stark beeinträchtigende postoperative Neuropathie nur multidisziplinär zu verringern, betonen die Wissenschaftler. Außerdem empfehlen sie, alle Patienten vor einem chirurgischen Eingriff über die Möglichkeit eines fortbestehenden Nervenschadens aufzuklären. Gänzlich vermeiden lässt sich diese seltene Operationsfolge derzeit nicht.
Die Autoren halten prospektive Studien zu den Ursachen postoperativer Neuropathien für dringend erforderlich. Die von ihnen zusammengetragenen Fakten beruhen überwiegend auf retrospektiven Daten oder Fallserien aus unterschiedlichen Indikationsgebieten, schreiben sie. Die Evidenz sei bislang unzureichend.
Quelle: Laughlin RS et al. Mayo Clin Proc 2020; 95: 355-369; DOI: 10.1016/j.mayocp.2019.05.038