Venengesundheit: Kompressionstherapie individuell auf Patienten abstimmen
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Eine Kompressionstherapie reduziert Ödeme und Ulcera, hilft bei entzündlichen Dermatosen der Beine, kann Thrombosen verhindern und verringert sogar Schwindel und Übelkeit in der Schwangerschaft. Verschiedene Hilfsmittel kommen dafür infrage, die Professor Dr. Michael Jünger von der Klinik für Hautkrankheiten der Universitätsmedizin Greifswald vorstellte:
- klassische medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS)
- phlebologische Kompressionsverbände (PKV)
- medizinisch adaptive Kompressionsmittel (MAK)
Kontraindikationen der Kompressionstherapie
Absolute Kontraindikation:
- fortgeschrittene PAVK (Knöchelarm-Index [ABI] < 0,5)
- dekompensierte Herzinsuffizienz
- septische Phlebitis
- Phlegmasia coerulea dolens
- nässenden Dermatosen
- Materialunverträglichkeit
- ausgeprägten Gefühlsstörungen der Extremität
- primärer chronischer Polyarthritis
Für PAVK-Patienten gibt‘s spezielle Verbände
Vorab gab der Kollege einen Einblick in die neue Leitlinie zur Kompressionstherapie. Das Manuskript befindet sich derzeit in der Review-Phase. „Wir legen zukünftig einen stärkeren Fokus auf den individuellen Patienten und das Stadium der Krankheit“, so Dr. Jünger.
Kompressionsverband und adaptive Kompressionsmittel
In der akuten Ödem-Entstauungsphase wird gleichermaßen zu mehrlagig angelegten PKV oder der Klettverschlussadaption steifer Bauteile (MAK) geraten. Bei der Auswahl des Materials oder der Wickeltechnik lässt die Leitlinie dem Anwender relativ freie Hand. Generell sollten beim Bandagieren die eigenen Erfahrungen und Fähigkeiten sowie die Patientenpräferenz ausschlaggebend sein. Zusätzlich sind medizinische Indikation und Komorbiditäten wichtig: Beispielsweise gibt es für PAVK-Patienten spezielle Verbände, die nur zu 50 % statt der üblichen 75 % überlappen, sogenannte „lite“ Bandagen.
Auf rechtwinklige Position des Sprunggelenks achten
Unterschenkelverbände reichen bis zum Fibulaköpfchen und Oberschenkelverbände bis zum proximalen Oberschenkel, insbesondere bei einem Lymphödem sollte auch der Vorfuß in den Verband mit einbezogen werden, riet der Experte. Anatomisch ist auf die rechtwinklige Position des Sprunggelenks zu achten, außerdem darf der Patient durch den PKV weder Schmerzen, Druckstellen noch Schnürfurchen bekommen. Kompressionsstrumpfsysteme Im Vergleich zu Verband und adaptiven Bauteilen eignen sich Strümpfe besser für die langfristige Therapie nach der Entstauung, z.B. beim Ulcus cruris, oder zur Prävention. Auch in diesem Fall stellt die Leitlinie den Druckstellenschutz in den Vordergrund. Sobald einer oder mehrere Punkte bei der Vermessung des Beines (entödematisiert, stehend) von den Vorgaben des Herstellerschemas abweichen, sollte auf Maßanfertigung gewechselt werden, betonte Prof. Jünger. Auch muss zwischen den Rezepten nicht immer ein halbes Jahr liegen. Gründe, die Verordnung vorzuziehen, sind:- Formveränderung der Extremität
- Veränderung der Indikation
- vorzeitiger Verschleiß (z.B. durch tägliches Waschen)
Strümpfe richtig rezeptieren
Um zu garantieren, dass der Patient das erhält, was Sie (und nicht der Sanitätshausmitarbeiter) ausgesucht haben, sind genaue Angaben wichtig. Bei der Erstverordnung sollten Sie aus hygienischen Gründen direkt zwei Strümpfe verschreiben, rät Prof. Jünger. Neben der Anzahl steht auf dem Rezept:
- Strumpflänge (Wade (A-D), Halbschenkel (A-F), Oberschenkel (A-G), Strumpfhose (A-T))
- Kompressionsklasse I–IV
- Indikation und Diagnose (ICD-10)
- Hilfsmittelnummer oder Bezeichnung des Hilfsmittels
- Fußspitze (offen/geschlossen)
Zusätzlich sollte man bei der Wahl der Kompressionsklasse auf den Patienten Rücksicht nehmen. Die Leitlinie rät, „den niedrigst möglichen Anpressdruck zu verordnen, der die gewünschte Wirksamkeit erzielt“, erklärte Prof. Jünger. Das trägt entscheidend zur Adhärenz bei.
Ü-65-Jährige scheiterten trotz Anziehhilfen
Mit der Kompressionsklasse steigt der Kraftaufwand und die Schwierigkeit, den Strumpf anzuziehen. Prof. Jünger bezieht sich dabei auf eine eigene (noch unveröffentlichte) Studie an über 65-jährigen Patienten. Ihnen halfen auch keine Anziehhilfen. Prof. Jünger empfahl, sie vorzugsweise Personen mit eingeschränkter Beweglichkeit, Muskelschwäche, Lähmungen oder degenerativen Erkrankungen der Hände zu verordnen, die sonst gar nicht in der Lage wären, den Strumpf anzuziehen. Noch ein Tipp: Manchen fällt es leichter, statt einer Strumpfhose Strümpfe und Hosen zu kombinieren. Generell fanden die Befragten ein Klasse-I-Modell subjektiv bequemer und berichteten z.B. bei vorliegendem Hallux valgus von weniger Nebenwirkungen verglichen mit dem Klasse-II-Pendant. Folglich seien „ältere Menschen mit Fußauffälligkeiten oder abgesenktem Fußskelett mit einem Klasse-I- statt einem Klasse-II-Strumpf wesentlich besser versorgt“. Ein höherer Druck lässt sich auch mit zwei übereinander angezogenen Klasse-I-Varianten erreichen, erläuterte Prof. Jünger. Eine Maßnahme, die laut dem Experten die neue Leitlinie abdeckt.Kongressbericht: 25. Bonner Venentage