Welchen Nutzen hat das Selbstabtasten der Hoden?
Hodenmalignome sind in ihren Anfangsstadien gut therapierbar und fast immer zu heilen. Dabei empfiehlt die aktuelle S3-Leitlinie „Keimzelltumoren des Hodens“ von 2018 explizit die regelmäßige Selbstuntersuchung, um eventuelle Veränderungen der Hoden frühzeitig zu erkennen. Dazu sollte Mann aber ein wenig über Aufbau und Funktion seines Geschlechtsorgans sowie über Risikofaktoren und Diagnosemaßnahmen der Tumoren Bescheid wissen. Wie es um diese Kenntnisse bestellt ist, hat das Team um Dr. Petra Anheuser von der Klinik für Urologie an der Asklepios Klinik Wandsbek in einer Fragebogenaktion untersucht.1
Daran nahmen an sechs Hamburger Gymnasien 548 Schülerinnen und Schüler zwischen 16 und 20 Jahren teil. Das Ergebnis enttäuscht: Nur etwa 60 % beantworteten alle Fragen korrekt. Die Jugendlichen sind sich anscheinend des Problems nicht bewusst, meinen die Autoren. Die zweite Jugenduntersuchung (J2) böte Jungs die Möglichkeit zu einem Besuch beim Urologen. Der Facharzt könnte hinsichtlich Selbstuntersuchung anleiten und aufklären, wenn der Patient bislang unbekannte Strukturen wie Nebenhoden oder Samenstrang ertastet hat.
Psychische Belastung und Überdiagnosen befürchtet
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sieht allerdings den Nutzen der Selbstuntersuchung als eingeschränkt an.2 Experten hatten im IQWiG-Auftrag geprüft, ob regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen bei Männern ab dem 16. Lebensjahr zu besseren Behandlungsergebnissen bei Hodenkrebs führen. Dabei erteilt die Gruppe vor allem ärztlichen Routinechecks eine Absage. Hodentumoren würden nur selten auftreten und seien gut behandelbar – auch in späteren Stadien. Das Institut befürchtet erhöhte psychische Belastung und eine Überdiagnose. Somit könnte es zu mehr Schaden als Nutzen kommen. Allenfalls für besorgte junge Männer könnte nach ärztlicher Anleitung das Schadenspotenzial durch eine Selbstuntersuchung geringer ausfallen.
Auch wenn die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) den fehlenden Nutzen eines Screenings ähnlich beurteilt – bei der Selbstuntersuchung widerspricht sie vehement.3 Ihrer Meinung nach bagatellisiert das IQWiG die Konsequenzen, die die intensivere Therapie bei fortgeschrittenen Tumoren mit sich bringt.
Urologen fordern eine mündliche Anhörung
Dazu gehören etwa Langzeitfolgen von Zytostatika und Bestrahlung, sowohl Organtoxizitäten als auch das Risiko von Zweitmalignomen über die vielen Lebensjahrzehnte, die die jungen Patienten noch vor sich haben. Außerdem berücksichtige es nicht das individuelle Risikoprofil, das ein Selbstabtasten umso notweniger machen könne, kritisiert Professor Dr. Sabine Kliesch von der Fachgesellschaft. Die Urologen wollen nun eine mündliche Anhörung mit dem IQWiG und seinen Experten erreichen, um diese Bedenken nochmal zu diskutieren.
1. Anheuser P et al. Urologe A 2019; 58: 1331-1337; DOI: 10.1007/s00120-019-01029-3
2. Pressemitteilung IQWiG
3. Pressemitteilung DGU