Wie beeinflussen sich Mikrobiota von Darm und Lunge?
Dass das Mikrobiom essenziell für unsere Gesundheit ist, weiß man schon geraume Zeit. So stellen die uns besiedelnden Kleinstlebewesen lebenswichtige Vitamine und Nährstoffe bereit und wehren Krankheitserreger ab. Und immer mehr stellt sich ihre Bedeutung bei der Ausreifung und korrekten Differenzierung des Immunsystems heraus.
Zu den jüngeren Erkenntnissen zählt die Beobachtung, dass auch in der bisher als „steril“ betrachteten Lunge verschiedene Spezies von Mikroorganismen leben – selbst bei Gesunden. Weiterführende Untersuchungen zeigten dann charakteristische Veränderungen des pulmonalen Mikrobioms bei chronischen Atemwegskrankheiten wie Asthma oder COPD. Und anscheinend ändert es sich mit der Schwere der Erkrankung, schreiben Professor Dr. Susanne Krauss-Etschmann vom Forschungszentrum Borstel und ihre Kollegen. Im Wesentlichen stellt sich bei Betroffenen die Mikrobiota einförmiger dar und weist weniger verschiedene Gattungen auf. Ob diese Veränderungen aber nun die Ursache oder die Folge der jeweiligen Pathologien sind, lässt sich derzeit nicht sicher feststellen, räumen die Wissenschaftler ein.
Die Mikromilieus von Darm und Lunge unterscheiden sich erheblich (s. Tabelle), obwohl die beiden Organsysteme embryonal den gleichen Ursprung haben. Diese verschiedenen Gemeinschaften „netzwerken“ sowohl miteinander als auch mit den Körperzellen, damit ein lebensfähiges Gleichgewicht entsteht und nicht jeder einfach macht, was er will. Dabei sagt unter anderem der Darm der Lunge, wo’s langgeht.
Einige Unterschiede im Mikro-Environment von Lunge und Darm | ||
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Lunge | Darm | |
Dichte der bakteriellen Besiedlung | etwa 2200/cm2, nach distal abnehmend | um mehrere Zehnerpotenzen höher (ca. 1011 im Kolon), nach distal zunehmend |
Bewegung der Mikrobiota | bidirektional (Inspiration vs. Exspiration) | unidirektional (Ausnahmen: Refluxkrankheit, Erbrechen) in Richtung Enddarm |
pH-Wert | relativ stabil im üblichen Normbereich | stark variierend; extrem sauer im Magen, alkalisch im Duodenum |
Temperatur | variiert von Umgebungstemperatur in den oberen Atemwegen bis Körpertemperatur in den Alveolen | konstant bei Körpertemperatur |
Bildung von Biofilmen | abhängig von der bakteriellen Besiedlung |
Kommunikation läuft in zwei Richtungen
Diese Talks laufen aber vermutlich in beide Richtungen – dafür sprechen etwa die häufigen begleitenden gastrointestinalen Symptome von Patienten mit chronischen pulmonalen Störungen. Dass der Gastrointestinaltrakt in Richtung Lunge Signale sendet, zeigt sich indirekt an häufigeren Lungenerkrankungen, wenn in der frühen Kindheit die Darm-Mikrobiota weniger divers war.
Nun fragt man sich, wie dieses Geflüster denn ablaufen soll – sprich: Welche Boten(stoffe) bewegen sich auf welchen Wegen zwischen den Organen? Als Routen kommen Blutkreislauf und/oder Lymphsystem infrage, als Mediatoren Immunzellen, etwa dendritische oder M-Zellen. Diese Zellen nehmen, so vermuten Forscher, Darm-Mikroorganismen auf, wandern in die mesenterialen Lymphknoten und induzieren dort die Bildung von T- und B-Effektor-Zellen, die für die spätere Toleranz körpereigener Gewebe erforderlich sind. Ähnlich agieren spezielle Clostridien-Cluster, die die Bildung regulatorischer T-Zellen anregen. Diese können dann in die Lunge gelangen und dort die Synthese antiinflammatorischer Substanzen anregen, z. B. von Interleukin 10.
Ballaststoffe als Allergieschutz
Aber auch Bakterienmetaboliten beteiligen sich am Networking:
- Kurzkettige Fettsäuren (Acetat, Propionat, Butyrat und Pentanoat) entstehen, wenn darmeigene Mikroorganismen (z. B. Bifidobacterium, Lactobacillus) Ballaststoffe fermentieren. Im Darm sind sie in die Reifung und Prägung der Immunzellen involviert – und diese wiederum gelangen später in die Lunge. So konnte eine ballaststoffreiche Ernährung, bei der reichlich kurzkettige Fettsäuren entstehen, vor einer allergischen Entzündung der Lunge schützen.
- D-Aminosäuren hielt man lange Zeit für eher irrelevant, was den menschlichen Organismus betrifft. Das könnte sich nun als Irrtum erweisen: So reduziert etwa D-Tryptophan in menschlichen Zellen die Synthese von Chemokinen und von Zytokinen in Th2-Zellen und verhindert dadurch eine übermäßige Immunreaktion in der Peripherie. Darüber hinaus traten im Mausversuch nach Gabe von D-Tryptophan seltener allergische Atemwegserkrankungen auf.
Anhand dieser experimentellen Ergebnisse überlegen Mediziner bereits, ob und wie man die Lungengesundheit durch bestimmte Nahrungsmittel bzw. eine passend zusammengesetzte Ernährung positiv beeinflussen könnte.
Quelle: Krauss-Etschmann S et al. internistische praxis 2020; 63: 40-48