Long COVID Wie es um die Versorgung steht und was man als Hausarzt tun kann
Wenn ein Patient mit Symptomen in die Praxis kommt, hinter denen Long COVID stecken könnte, ist das Wichtigste, überhaupt an diese Möglichkeit zu denken, so Dr. Johannes Püschel vom Hausarztzentrum Greven. Vor allem inzwischen, da kaum mehr auf SARS-CoV-2 getestet wird. Er rät dazu, die Patienten zu fragen, ob sie kurz vor Beginn ihrer jetzigen Beschwerden krank waren, einen Infekt hatten. Die nächste wichtige Frage ist die nach der postexertionellen Malaise (PEM): „Geht es Ihnen schlechter, wenn Sie sich belastet haben? Falls ja: Wie lange hält das an?“ U.a. mithilfe von Fragebogen können weitere Beschwerden erhoben werden.
An die Anamnese schließt sich eine Reihe von Untersuchungen an, die sich alle gut in der Hausarztpraxis durchführen lassen, wie der Kollege bestätigte. Dazu gehören EKG, Lufu und eine Labordiagnostik. Das entspricht im Prinzip dem kleinen Hausarzt-Einmaleins, so Dr. Püschel.
Handkraftmessung ist einfach und sehr aussagekräftig
Zusätzlich messen die Kollegen im Hausarztzentrum Greven die Handkraft ihrer Long-COVID-Patienten. Die Messung selbst sei denkbar einfach, habe aber eine große Aussagekraft, vor allem im Hinblick auf das Vorliegen einer PEM.
In der Behandlung steht das Pacing über allem anderen. Wenn man die Patienten dazu bringt, die eigenen Einschränkungen und die Erkrankung zu akzeptieren und es zudem gelingt, ein ordentliches, evtl. herzfrequenzadaptiertes Pacing wirklich sicher im Alltag durchzuführen, lässt sich schon bei sehr vielen Patienten eine dramatische Verbesserung der Lebensqualität erreichen. „Sie sind nicht mehr so aktiv, aber dafür stabil“, so die Erfahrung von Dr. Püschel.
Da viele Patienten Schlafprobleme haben und die Nachtruhe als nicht erholsam empfinden, können zudem Maßnahmen ergriffen werden, um den Schlaf zu verbessern. Medikamentös kommt hierfür die Einnahme von Melatonin infrage. Zu einem tieferen, erholsameren Schlaf kann auch eine Gewichtsdecke beitragen. Ein interessanter Ansatz ist aus Dr. Püschels Sichts auch die Parasympathikus- oder Vagusstimulation.
Bei Patienten, die ein Mastzellaktivierungssyndrom aufweisen, lohnt es sich, Antihistaminika wie Ketotifen, Rupatadin, Fexofenadin und Cimetidin zu versuchen. Der Kollege rät, mit einer möglichst niedrigen Dosis einzusteigen und diese je nach Verträglichkeit und Effekt langsam zu steigern. Auch Naltrexon und Aripiprazol in niedriger Dosierung sind Optionen. Während Low-Dose-Naltrexon vor allem bei Schmerzen in Muskeln und Gelenken eingesetzt wird, kann Low-Dose-Aripiprazol sich positiv auf die Konzentration auswirken und den häufig vorhandenen Brainfog lindern.
In vielerlei Hinsicht verfährt man bei der Behandlung von Long COVID nach dem Trial-and-Error-Prinzip. „Das macht es auch manchmal ganz schön, weil wir nicht Dienst nach Vorschrift machen (...), sondern man ein bisschen investigativ tätig sein muss“, so die Meinung des Hausarzts. Das setze aber ein vertrauensvolles und enges Verhältnis mit den Patienten voraus – „weil die das ja mittragen müssen“.
Kaum Infrastruktur für Long-COVID-Patienten
In Bezug auf die Versorgung von Patienten mit Long COVID stehen wir in Deutschland derzeit noch ganz am Anfang, sagt der Kollege. Als er vor über einem Jahr eine Long-COVID-Sprechstunde ins Leben gerufen habe, sei er noch davon ausgegangen, dass aufgrund der Bedeutung der Erkrankung in den kommenden Monaten die notwendige Infrastruktur aufgebaut würde, die man für die Versorgung von Long-COVID-Patienten brauche: Schwerpunktzentren, Ambulanzen etc. „Heute, 13 Monate später, sehe ich davon nichts. Und wir haben immer noch einen eklatanten Kenntnismangel in großen Teilen der Medizin.“
Welchen Stellenwert die Psychotherapie in der Behandlung von Long-COVID-Patienten hat, wie hoch das Risiko für anhaltende Beschwerden nach einer Impfung aus Dr. Püschels Sicht ist und welche weiteren Tipps er hat – das alles hören Sie in der neuen Podcastfolge.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht