Ärzte wollen keine Kodierknechte werden
In seltener Einigkeit erinnerten der Ersatzkassenverband vdek und die KBV letzte Woche die potenziellen Regierungskoalitionäre daran, sich anstelle der Bürgerversicherung eines wirklich drängenden Themas anzunehmen: der Reform des morbiditätsorientierten RSA.
Die AOK als Profiteur des Finanzausgleichs lehnt dieses Ansinnen strikt ab, ist sich dafür aber mit dem vdek in einer anderen Sache einig: bei der Forderung nach einer Ambulanten Kodierrichtlinie (AKR), also einer verbindlichen Vorschrift für Ärzte, wie diese Diagnosen für die Abrechnung zu kodieren haben.Das wiederum ruft die KBV auf den Plan. Sie fleht, das aus ihrer Sicht dysfunktionale System des Morbi-RSA nun bitte nicht via AKR auf die Ärzte abzuwälzen. „Dann können Sie die sprechende Medizin vergessen“, erteilt KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen der AKR-Idee eine Absage.
Konkurrenz jammert: AOK kriegt zu hohe Zuweisungen
AKR und Morbi-RSA sind seit Langem strittig. Beides hängt aber zusammen und sorgt für wechselnde Frontverläufe. So beschwerte sich soeben der ehrenamtliche vdek-Vorsitzende Uwe Klemens darüber, dass die AOK aufgrund der RSA-Mechanismen auch 2017 wieder zu viel Geld aus dem Gesundheitsfonds erhalten hätte, „während alle andere Kassenarten eine Unterdeckung hatten“. Die AOK weist das routinemäßig von sich, unterstützt allerdings Forderungen nach einer AKR.
Die GKV hat sich damit einen unschuldigen Dritten auserkoren, auf den sie das Kodierungsdilemma auslagern will – davon ist man bei der KBV überzeugt. Der Streit zwischen den Kassen, die sich vorwerfen, Ärzte zum „Upcoding“ RSA-relevanter Diagnosen anzuhalten, weise zwar auf einen gesetzlichem Handlungsbedarf hin, meint Dr. Gassen. Das könne aber nicht heißen, „ein Regelwerk, das nicht funktioniert, nun auf die Ärzte runter zu brechen“.
Die Kassen werden in ihrer AKR-Forderung vom Präsidenten des Bundesversicherungsamtes (BVA), Frank Plate, unterstützt. Nur mit einer „einheitlichen Kodierrichtlinie für alle Ärzte“ könne die Gefahr von Manipulationen im Morbi-RSA-System gemindert werden, meint er. Zudem sei es sinnvoll, alle Diagnosen statt der jetzigen 80 zu berücksichtigen. Einheitliche Kodierrichtlinien wurden auch schon in einem Sondergutachten des wissenschaftlichen Beirats beim BVA gefordert.
AKR würde Zeit für die Patienten rauben
Dass der Morbi-RSA auf den Prüfstand gehört, dem stimmt die KBV grundsätzlich zu. Es sei „ungeheuerlich“, dass durch das System Kodierung und Ärztehonorare überhaupt miteinander in Verbindung gebracht worden seien, sagt KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister.
Natürlich sollten Kassen einen Ausgleich für überdurchschnittliche Morbidität bekommen. „Aber nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Kodierung in einem für die Ärzte völlig undurchschaubaren System“, so Dr. Hofmeister. Der Vorwurf, niedergelassene Ärzte würden Diagnosen danach ausrichten, wieviel Geld sie dafür von den Kassen bekämen, sei jedenfalls absurd.
Schon jetzt verwenden die niedergelassenen Ärzte viel Zeit mit dem maschinenlesbaren Kodieren von Diagnosen, argumentiert Dr. Gassen. Eine Aufgabe, die kein Arzt brauche, „um Patienten zu behandeln“. Handschriftliche Notizen auf der Überweisung wären das bessere Mittel.
Eine grundsätzliche Ablehnung von Kodierungen will der KBV-Chef daraus nicht ableiten, wohl aber gebe es keine Gründe für eine Pflichtenausweitung oder gar eine AKR. Dann bliebe nämlich vor lauter Kodieren das Arzt-Patienten-Gespräch auf der Strecke.