Türkische Ärzte inhaftiert, weil sie Frieden fordern
Die Festnahme von elf Spitzenvertretern des Türkischen Ärzteverbandes ist weltweit auf scharfe Kritik gestoßen. Der Ärzteverband hatte den Militäreinsatz in Syrien als ein „Problem der öffentlichen Gesundheit“ bezeichnet und vor „irreparablen Schäden“ gewarnt.
Der Marburger Bund wie auch der Verein IPPNW appellierten mit Dringlichkeit an die Bundesregierung, sich bei der türkischen Regierung für die Freilassung der Ärzte einzusetzen. Die Bundesärztekammer fordert in einem Brief an den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan die sofortige Freilassung der Kolleginnen und Kollegen.„Wer Frieden fordert, gehört nicht hinter Gitter. Umso mehr entsetzt uns das maßlose Vorgehen der türkischen Regierung“, so BÄK-Präsident Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery.
„Wer Frieden fordert, gehört nicht hinter Gitter“
(Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, BÄK)
Ähnlich äußern sich die internationalen Organisationen Weltärztebund, Physicians for Human Rights, das Standing Committee of European Doctors, das Europäische Forum der Ärzteverbände und das International Rehabilitation Council for Torture Victims. In einer gemeinsamen Erklärung fordern sie ein sofortiges Stopp der Einschüchterungsversuche auf allen Ebenen. „Unsere Organisationen vertreten weltweit Millionen von Ärzten. Was wir alle teilen, sind Werte wie medizinische Ethik, Menschenrechte und Frieden.“ Und weiter: „Der Türkische Ärzteverband hat sich zugunsten von Menschenrechten und Frieden geäußert. Das ist keine strafbare Handlung.“
Die Festgenommenen repräsentieren 80 % der Ärzte
Dr. Gisela Penteker, Landärztin aus Norddeutschland, fährt seit über 20 Jahren mit Menschenrechtsdelegationen in die Türkei und in die mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebiete im Südosten. „Die Türkische Ärztevereinigung ist die berufsständische Körperschaft der Ärzte und ein Zentralvorstand der regionalen Ärztekammern“, erklärt sie. Über 80 % der Ärzte in der Türkei sind Mitglied dieses Verbandes. Der gesamttürkische Vorstand des Verbandes, zu denen die meisten der Festgenommenen gehören, wird alle zwei Jahre neu gewählt. Die politischen Positionen im Verband seien heterogen, sei ihr Eindruck, sagt Dr. Penteker. „Bei jeder Wahl hoffen wir, dass wieder die menschenrechtsorientierte Fraktion bestimmend vertreten ist“, sagt die Ärztin. Denn der Verband habe eine wichtige ethische und politische Funktion in dem Land.
„Die Werte des Arztes sind nicht mit einem ‚Ja‘ zum Krieg vereinbar“ (Onur Naci, Vertreter des Türkischen Ärzteverbandes)
Über all die Jahre seien Ärzte in der Türkei angegriffen und verfolgt worden. Das Engagement in der Ärztekammer und die Mitgliedschaft in der Gesundheitsgewerkschaft SES seien schon immer gefährlich. Oft würden Ärzte und andere Beschäftigte des Gesundheitswesens zwangsversetzt. Verurteilungen führten dazu, dass sie nicht mehr im öffentlichen Dienst arbeiten durften und in privaten Kliniken oder als Betriebsärzte unterkommen mussten. Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 habe sich diese Situation deutlich verschärft, erklärt die Ärztin. Existenzen und Gesundheit der Ärzte sind bedroht In einem Interview, das der private Radiosender „Dreyecksland“ zwei Tage nach den Festnahmen mit dem Vertreter des Ärzteverbandes Onur Naci führte, erzählt dieser, dass auch einer der aktuell festgenommenen Mediziner als Betriebsarzt in einer Bank in Diyarbakir arbeitete – er habe seine Anstellung allerdings offensichtlich bereits verloren.
Es sei auch mit gesundheitlichen Problemen bei den Festgenommenen zu rechnen. Einer der Betroffenen habe sich gerade einer Operation unterziehen müssen und noch an den Folgen gelitten. Außerdem seien zumindest die männlichen Festgenommenen zunächst unter sehr schwierigen Bedingungen festgehalten worden.
„Wir fürchten um den Rechtsstaat“, formuliert der Arzt. Und fügt mit einem „Aber“ in der Stimme hinzu: „Keiner soll erwarten, dass Ärzte ‚Ja‘ zu einem Krieg sagen. Die Werte des Arztes sind nicht mit einem ‚Ja‘ zum Krieg vereinbar.“
Zur Situation von Medizinern in der Türkei
(Landärztin Dr. Gisela Penteker) Nach dem Putschversuch in 2016 seien Tausende Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden. Darunter seien auch viele Ärzte gewesen, erzählt Dr. Gisela Penteker, Landärztin und Menschenrechtsaktivistin. „Ihre Namen werden im Amtsblatt veröffentlicht und niemand traut sich, sie wieder einzustellen“, so die Erfahrung von Dr. Penteker. Es gebe dann für die Betroffenen keinerlei soziale Absicherung. „Wir haben Ärzte und Lehrer getroffen, die jetzt mit ihren Familien Gaststätten betreiben.“ Von der Verschärfung der Situation von Medizinern in der Türkei betroffen ist auch der Arzt Dr. Sedar Küni, ehemaliger Präsident der türkischen Ärztekammer und Vertreter der türkischen Menschenrechtsstiftung in Cizre. Sein Fall wurde im vergangenen Jahr international bekannt. Haftstrafe für Behandlung unliebsamer Personen Der Arzt aus dem Südosten des Landes ist angeklagt, im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit während der Ausgangssperre Anfang 2016 in der Stadt Cizre Menschen behandelt zu haben, die als „Militante“ verdächtigt wurden, und sie nicht dem Militär gemeldet zu haben. Er wurde dafür für mehrere Monate in Urfa inhaftiert. Dr. Gisela Penteker war als eine der internationalen ProzessbeobachterInnen im März 2017 vor Ort. Wie ihre Kolleginnen und Kollegen hat sie größten Zweifel daran, dass dieser Prozess rechtsstaatlichen Kriterien genügte. Im April steht die Revisionsverhandlung für Dr. Küni an. Ob er es riskieren kann, bis dahin in seiner Stadt und bei seiner Familie zu bleiben, ist ungewiss. „Werden Ärzte verfolgt, die ihren Ethos leben, dürfen wir nicht still sein“ (Landärztin Dr. Gisela Penteker) „Hier wird die ärztliche Pflicht, unterschiedslos allen Personen, die medizinische Hilfe benötigen, zu behandeln, zur Disposition gestellt und der Schutz der ärztlichen Schweigepflicht ist bedroht“, betont Dr. Penteker. Man müsse dieser Instrumentalisierung heilberuflicher Tätigkeit konsequenten Widerstand entgegensetzen. Ein Baustein in der Verschärfung der Bedingungen sei beispielsweise auch das im Jahr 2014 verabschiedete Gesetz, das vorschreibt, dass die ärztliche Notfallversorgung nur bis zum Eintreffen der offiziellen Notfallkräfte geleistet werden darf. Danach muss die Erste Hilfe seitens der Ärzte eingestellt werden. „Wir fürchten um den Rechtsstaat“
(Onur Naci, Vertreter des Türkischen Ärzteverbandes) Das Gesetz wird als eine Reaktion auf die Versorgung von Regierungsgegnern durch Ärzte während der Gezi-Park-Ausschreitungen 2013 gesehen. Ärzte sollen bezüglich der medizinischen Hilfe von politischen Demonstranten verunsichert werden. Es geht um den obersten Wert: die Menschenrechte „Wenn Ärzte verfolgt werden, weil sie ihre Arbeit machen, müssen wir uns dagegenstellen“, sagt Dr. Penteker. „Dann rücken politische oder ideologische Positionen in den Hintergrund. Es geht hier um Menschenrechte – und die sind für alle Ärzte weltweit oberster Wert.“