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Praxiskolumne Alles, nur kein „Weiter so“!

Autor: Dr. Günter Gerhardt

„Gemeinsames Agieren müssen wir noch lernen.“ „Gemeinsames Agieren müssen wir noch lernen.“ © gettyimages/yuoak; MT
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Wenn man nach zehn Jahren Praxiskolumne in Medical Tribune seinen letzten Beitrag schreiben will, ist es nicht leicht, ein passendes Thema zu finden. Aber wie immer ist die Aktualität sehr hilfreich.

Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach hat die Reformvorschläge der Krankenhauskommission als Revolution vorgestellt: Die Fallpauschalen seien das Hauptproblem, das DRG-System habe eine Tendenz zu billiger Medizin und gebe einen starken Anreiz, immer mehr Fälle zu behandeln.

Wenn man Fallpauschalen bzw. DRG-System durch Budgetierung ersetzt, dann brauchen wir in der ambulanten Versorgung auch dringend diese Revolution. Nur bedarf es da mehr als Reformvorschläge einer Kommission. Wir benötigen den radikalen Schnitt, wie ihn der Vorstandsvorsitzende der KVB während des KV-Wahlkampfs gefordert hat, nämlich raus aus dem SGB V. Man kann nur hoffen, dass er nach der Wahl noch der gleichen Meinung ist. In der Realität würde das bedeuten: Wir verabschieden uns von dem KV-System – was sehr gut überlegt und vorbereitet werden muss.

Auf keinen Fall dürfen wir zurückfallen in die Zeit vor der Gründung der KVen am 1.1.1932. Bis dahin war die Ärzteschaft der übergroßen Macht der Krankenkassen ausgesetzt: Immer mehr Ärzte bemühten sich um die Anerkennung als Kassenarzt. Die große Zahl an Anträgen ermöglichte es den Krankenkassen, die Honorare zu drücken, indem sie Verträge mit denjenigen Ärzten abschlossen, die bereit waren, für das niedrigste Honorar zu arbeiten. Dem konnte durch Streiks und ähnliche Aktionen ein Ende gesetzt werden, was die Versorgung der Patienten erheblich beeinträchtigte.

Schließlich erkannte man zwischen 1900 und 1931, dass weder die Kassen noch die Politik die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen können, sondern nur eine geschlossen auftretende Ärzteschaft. Die Gründung der KVen war nur möglich, indem Kassen und Ärzte sich auf Kompromisse einließen: Die Ärzteschaft war einverstanden mit einer Kopfpauschale je Patient als Honorar, deren Entwicklung sich an den Reallöhnen orientierte. Die Krankenkassen verpflichteten sich, Kollektivverträge mit der Ärzteschaft abzuschließen und eine mit öffentlich-rechtlichem Status versehene Vertretung der Ärzte zu akzeptieren.

Die KVen stellten fortan die ambulante medizinische Versorgung sicher, schlossen Kollektivverträge mit den Kassen ab und zahlten Honorare an die Ärzte aus. Sie waren zugleich Selbstverwaltungsorgan, Interessenvertretung und Kontrollinstanz der Ärzte.

Die Bedingung der Regierung für diesen Kompromiss: Ärzte mussten auf Streiks zur Durchsetzung ihrer Interessen verzichten. Zur Klärung von Streitfragen wurde ein Vertragsausschuss von Krankenkassen und Ärzteschaft gebildet. Bis auf den Verzicht des Streikrechts war das auch gar nicht so schlecht, nur kamen immer neue Gesetze hinzu – zum Nachteil der Ärzteschaft.

Der Sündenfall schlechthin war die Gesundheitsstrukturreform 1992, die der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) und sein SPD-Gegenspieler Rudolf Dreßler in Lahnstein auf den Weg brachten. Zu den Neuerungen im Seehofer-Dreßler-Papier gehörte vor allem die Budgetierung. Sie sollte nach wenigen Jahren wieder beendet werden. Nach 30 Jahren gibt es sie immer noch, das Termin­service- und Versorgungsgesetz (TSVG) deutete auf ein Ende oder zumindest eine Lockerung der Budgetierung hin. Nun wird das aber wieder gecancelt.

Ich glaube, dass ein Großteil der Ärzteschaft ein „Weiter so“ nicht will. Wir überblicken einen Zeitraum von 1883 (Gründung der GKV) bis heute und wissen genau, was wir wollen – und was nicht. Das gemeinsame Agieren müssen wir noch lernen. Unsere „Big Points“ sind die evidenzbasierte ambulante 24/7-Versorgung und eine leistungsorientierte Einzelleistungsvergütung. Das duale System GKV und PKV gilt es zu erhalten, ebenso das Wirtschaftlichkeitsgebot. Um Letzteres zu gewährleisten, muss über eine sozialverträgliche Selbstbeteiligung nachgedacht werden. Am besten umsetzbar ist das wohl unter dem Dach einer gewerkschaftsähnlichen Struktur.

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