Praxiskolumne Blackout in der Hausarztpraxis
Die PCs aus, Luftreiniger surren nicht mehr, die Zentrifuge, die eben noch lief, hört sich an, wie im Sturzflug. Nein, Putin ist daran ausnahmsweise nicht schuld. Der Baggerfahrer nebenan hatte gerade einen besonders guten Schwung. Nicht, dass ihn das davon abhalten würde, weiterzubaggern. Die erschrockenen MFAs gehen ihrer Pflicht nach und hechten zum Fenster. Es folgt eine schwäbische Schimpfkanonade auf den Baggerführer, die dieser gekonnt missachtet.
Zum Glück ist es gegen Ende der Sprechstunde, und die anwesenden Patienten sind bis auf einige Ausnahmen nur noch unsere „Infektis“, die man gut auch alleine durch die klinische Untersuchung und verbale Empfehlungen versorgt bekommt. Die AU dürfen wir zum Glück ja Montag noch nachreichen. Wie schön wäre es, wenn man noch Formulare hätte. Per Hand etwas ausstellen, das wäre echt praktisch.
Aus der Patiententoilette hört man unterdrücktes Fluchen. Der Mittelstrahl dürfte wohl daneben gegangen sein. Hab ich schon erwähnt, dass wir sensorgesteuerte Waschbecken haben, die Strom benötigen? Na gut, Hände waschen kann man dann auch daheim...
In die Stille tönt ein monotones Piepen. Der Impfstoff-Kühlschrank gibt Alarm. Nun schlägt mein Herz etwas schneller. Wie lange kann er ohne Strom die notwendige Temperatur aufrechterhalten? Ich überschlage mal die Kosten des Impfstoffes, der kaputtginge.
Währenddessen gibt es am Tresen Diskussionen. „Nein, die Computer gehen nicht. Nein, da Ihre Akte digitalisiert ist, können wir nicht nachschauen, wie der Befund vom Facharzt war. Nein, das Rezept geht dann jetzt auch nicht. Ein E-Rezept wäre Ihnen recht als Alternative? Gut. Das E in E-Rezept steht wofür?“ Irgendwie hat es jemand geschafft, dass ein einzelnes Telefon klingelt. „Gehen wir ran? Wieso kann das klingeln?“ Es stehen zwei MFA gebannt davor und rätseln, wie das ohne Strom geht. Derweil klingelt es weiter. Vor dem Aufzug steht ein Patient. Er wartet und wartet. Die Kollegin hat Erbarmen und empfiehlt die Treppe.
Die Damen diskutieren, welches Licht wohl angeschaltet war und welches nicht, damit, wenn der Strom wiederkommt, es nicht das Wochenende über durchleuchtet. Parallel überlege ich, wie ich schnellstmöglich den Impfstoff evakuiere – und welchen zuerst. Und womit transportieren? Nach ca. 1,5 h ist der Strom wieder da. Der Kühlschrank hat die kritische Temperatur zum Glück nicht erreicht.
Wieder einmal hat dieser Vorfall gezeigt, dass unsere Digitalisierung unglaubliche Vorteile hat, aber auch mindestens eine Achillesferse. Wir sind als voll digitalisierte Praxis nicht in der Lage, zu arbeiten, wenn der Strom ausfällt. Da war es für unsere Vorgänger deutlich einfacher, so etwas zu überbrücken. Für die kurze Zeit war das recht amüsant – da zum Glück kein Notfallpatient da war und wir am Ende der Sprechstunde waren. Aber sollte je ein größerer Stromausfall geschehen, wären wir aufgeschmissen. So toll es sein wird, wenn wir endlich funktionierende elektronische Patientenakten haben oder durchgehend E-Rezepte ausstellen, umso abhängiger sind wir. Und ich denke, ich werde den Patienten weiterhin empfehlen, ihre Medikamentenpläne als Papierausdruck mit sich zu tragen. Sicher ist sicher.