Praxiskolumne Wir sollten uns ein Beispiel an der Wirtschaft nehmen

Kolumnen Autor: Sebastian Alsleben

Die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor sollten kurzfristig durch ein wertschätzendes Arbeitsumfeld und langfristig durch mehr Personal verbessert werden. Die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor sollten kurzfristig durch ein wertschätzendes Arbeitsumfeld und langfristig durch mehr Personal verbessert werden. © Katarina – stock.adobe.com; MTD

Nicht erst seit der Coronapandemie führen die Arbeitsbedingungen für medizinisches Fachpersonal zu Diskussionen. Wie kann es da sein, dass wir in Zeiten, in denen sich Wirtschaftsunternehmen eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit auf die Fahne schreiben und ganze Abteilungen namens „Human Relations“ für eine Verbesserung dieser sorgen, im Gesundheitssystem nur noch über Kürzungen, Stellenzusammenlegung und die Erstellung von Notfallplänen sprechen?

Ich habe vor meinem Medizinstudium Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Dort lernt man, dass eine Organisation – sei es eine Firma, eine Praxis oder ein Krankenhaus – besser funktioniert, wenn man es schafft, die intrinsische und extrinsische Motivation der Mitarbeitenden zu fördern. Dennoch kennt wahrscheinlich jeder von uns dieses Gefühl der Frustration, wieder einen Antrag mehr stellen oder einen weiteren Mitarbeiterausfall kompensieren zu müssen. In der Inneren Medizin heißt es dann häufig: „Wir schreiben eh schon rote Zahlen.“

Unser neuer Kolumnist Sebastian Alsleben stellt sich vor

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Arzt in Weiterbildung in der Allgemeinmedizin. Zudem versuche ich nebenberuflich auf Social Media, Menschen ohne medizinische Fachkenntnisse mein Wissen näherzubringen – hauptsächlich auf Instagram, wo ich unter dem Namen @deinhausarzt Infotainment betreibe, also eine unterhaltsame Art der Präsentation von Informationen. Zudem bin ich Co-Host des Medical-Tribune-Podcasts DocTales, in dem wir in lockerer Atmosphäre mit Kolleginnen und Kollegen aus dem medizinischen Bereich sprechen. Meines Erachtens bietet der Beruf als Arzt so viel mehr als „Dienst nach Vorschrift“. Für mich ist mein berufliches Leben eine spannende Reise, auf die ich Sie in dieser Kolumne mitnehmen – und vielleicht inspirieren – möchte.

Für diese Entwicklung gibt es natürlich vielfältige systemische Gründe. Der demografische Wandel geht mit einer alternden Bevölkerung und damit auch mehr multimorbiden Patienten einher. Das erhöht den Druck auf unser Gesundheitssystem, kosten­deckend zu arbeiten. Wie aber sollen wir medizinischen Fachkräfte es schaffen, mit weniger Personal und mehr Arbeit die gleiche Qualität zu liefern, ohne dabei psychisch und physisch auf lange Sicht völlig zu dekompensieren? Viele meiner Bekannten stammen aus der Generation Z und ich kann nur eins sagen: Die meisten zukünftigen Ärztinnen und Ärzte werden sich dies nicht mehr gefallen lassen.

Dennoch sehe ich auch einen Teil der Schuld bei uns selbst. Wenn gegen schlechte Arbeitsbedingungen demonstriert wird, dann sind es meist nur vereinzelte Gruppen, wie kürzlich das Pflegepersonal der Universitätskliniken. Es fehlt eine größere Einigkeit. Nur so können wir auch in der Bevölkerung ein Verständnis dafür schaffen, wie ernst die Lage ist. Derzeit lässt sich diese Erkenntnis leicht wegschieben, denn noch funktioniert dieses äußert labile System. Zumindest aus der Außenperspektive. Ein ehemaliger Oberarzt sagte mir mal: „Herr Alsleben, Sie müssen entscheiden, was für ein Arzt Sie sein wollen. Einer, der pünktlich geht, oder einer, der seine Patienten versorgt weiß!“ Welch ein Offenbarungseid  aus dem Mund eines potenziellen Mentors.

Wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen, die Idee der Human-Relations-Bewegung in unseren Arbeitsalltag zu integrieren. Was bedeutet das konkret? Diskussio­nen und der Ruf nach neuem Klinikpersonal werden nicht reichen. Dieses fällt nicht so einfach vom Himmel. Auch die ca. 5.000 zukünftig fehlenden Ärztinnen und Ärzte sind nicht von heute auf morgen ausgebildet. Wir sollten also zunächst an anderer Stelle handeln und bessere Arbeitsbedingungen schaffen. Dies könnte durch flachere Hierarchien erreicht werden, durch Stärkung der Arzt-Pflege- bzw. Arzt-MFA-Beziehung sowie durch größere Wertschätzung seitens der Führungskräfte gegenüber ausgelastetem Personal. Motiviertere Mitarbeitende arbeiten effizienter, sind belastbarer und sorgen für ein besseres Arbeitsklima – das zeigt die Erfahrung aus der Wirtschaft deutlich. 

Ich sehe dies als meine Verantwortung als zukünftiger Praxisinhaber, aber richte auch einen Appell an alle derzeitigen Führungskräfte im Gesundheitssektor. Schaffen Sie in diesen schwierigen Zeiten mit Überstunden und Unterbesetzung zumindest ein wertschätzendes Arbeitsklima, sei es durch kleine Aufmerksamkeiten nicht monetärer oder monetärer Art! Wir sollten unsere Berufsgruppe wieder attraktiver für die zukünftige Generation machen. 

Beste Grüße und halten Sie alle durch.