Praxiskolumne Alles Weicheier mit Smartphones?

Kolumnen Autor: Dr. Jörg Vogel

Die ständige Erreichbarkeit erhöht das Stresslevel. Die ständige Erreichbarkeit erhöht das Stresslevel. © pict rider – stock.adobe.com; MT

Die jüngere Generation zeigt sich oft überfordert. Viele halten sie deswegen für verweichlicht. Unser Kolumnist geht den Ursachen auf den Grund und erkennt: ganz so leicht ist es nicht.

Jetzt, am Ende dieses Sommers, wenn Corona in den Praxen noch keine allzu große Rolle spielt, kommen relativ viele junge Menschen zu mir. Sie wirken gestresst und haben für dieses Alter untypische Wünsche. Viele von ihnen wollen nun endlich mal vieles abgeklärt haben (was ganz offensichtlich keinen Krankheitswert besitzt).

Sie schildern dann den typischen psychosomatischen Symptomkomplex, beginnend bei gelegentlichen Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, dann auch wechselnde Bauchbeschwerden und schließlich „Muskelschmerzen“ aller Art. Und stets wurden schon selbst die abenteuerlichsten Diagnosen gestellt, wobei im Bekanntenkreis erlebte Krebskrankheiten, Aneurysmen und Thrombosen ganz oben stehen. Was soll der Doktor machen? Alles! Natürlich! Es geht um Leben und Tod ...

Mehrmals in der Woche wollen auch Patienten dieses Alters einfach mal für zwei bis drei Wochen krankgeschrieben werden. Sie seien fertig, kurz vor dem Burn-out, und nur eine Woche helfe da gar nichts. Sie nennen es auch nicht „krankschreiben“, sondern wollen „herausgenommen werden“. Wahrscheinlich, weil sie sich mit diesem Begriff wohler fühlen. Ähnlich wie oben frage ich dann nach dem Grund der Erschöpfung. Eigentlich ist man doch in diesem Alter auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit. Da kommt dann meist: Berufstätig, ein oder zwei Kinder, zwar nicht mehr im Windelalter, aber „voll stressig“. Homeoffice? Nein, das sei lange her.

Kürzlich wollte eine junge Frau von Mitte dreißig schnellstmöglich eine Mutter-Kind-Kur. Auch hier die Konstellation: Sie arbeitet dreißig Stunden im Büro, der Mann vierzig Stunden und dazu zwei Jungs im Vorschulalter. Auf meine Frage, warum jetzt nach dem Urlaub noch eine Kur notwendig sei, kam die Antwort: „Was meinen Sie, wie teuer ein Urlaub für eine vierköpfige Familie heutzutage ist? Da nutze ich doch lieber eine Kur. Die steht mir doch schließlich zu.“ Da war ich dann wirklich mal sprachlos.

Neulich diskutierte ich diese Dinge mit einem lieben Kollegen, der auch in diesem Alter ist. Er zeigte für das alles wesentlich mehr Verständnis und fragte mich, ob ich die Jugend von heute für verweichlicht halte. Meine Generation hätte es doch sicher viel leichter gehabt, die Großeltern in der Nähe usw.

Nein, ich halte sie nicht für verweichlicht. Sie ist wirklich überfordert. Weil nahezu alle einen permanenten Zweitjob haben als Telefonist/in – sprich Smartphone-abhängig sind. Selbst während sie bei mir im Sprechzimmer sitzen, klingelt, summt und vibriert es. Das hat nichts mit verweichlicht zu tun, sondern mit permanenter Informationsüberflutung und dem Zwang, darauf zu reagieren. Und wenn man das auf der Arbeit nicht darf und deshalb eben heimlich macht, dann stören natürlich nach Feierabend auch die Kinder.

Was mich angeht, waren tatsächlich keine Eltern zum Aufpassen vor Ort. Meine Frau und ich arbeiteten beide voll, die Kinder blieben täglich bis ca. 16:30 Uhr in der Kita, später im Schulhort. Aber der Feierabend und die Wochenenden gehörten ganz ihnen. Gott, was war ich mit denen im Zoo oder sonst wie draußen. Und Urlaub fast immer am Meer.

Aber es gab eben auch kein Smartphone, man musste die Gute-Nacht-Geschichten noch selbst vorlesen oder erfinden. Ich erfand damals eine Art Serie „unanständiger“ Tiergeschichten von einer „Popelkuh“ mit ausgeleierten Nasenlöchern und einem „Pupseschäfchen“ mit völlig zerfranstem Hinterteil. Schade, dass ich das nie aufgeschrieben habe. Meine Kinder haben sich fast jeden Abend in den Schlaf gelacht.

Mit der „Generation Smartphone“ werde ich wohl meinen Frieden machen müssen. Selbst wenn sie, aufs Gerät starrend, an der Ampel steht und bei Rot losläuft. Doch dafür gibt es jetzt Abhilfe. Ein Koreaner erfand eine Art „drittes Auge“, eine Stirnkamera, die genau dann Alarm schlägt. So überlebt die Menschheit wenigstens.