Praxiskolumne Auch über den Tellerrand hinausschauen

Kolumnen Autor: Sebastian Alsleben

Alternative Heilmethoden können die Schulmedizin durchaus gut ergänzen. Alternative Heilmethoden können die Schulmedizin durchaus gut ergänzen. © fotogurmespb – stock.adobe.com

In meiner letzten Kolumne habe ich über Scharlatanerie geschrieben. Ich habe darin kritisiert, dass manche Personen Geld mit den Erkrankungen und der Angst vieler Menschen verdienen. Dabei verkaufen sie häufig selbst ausgedachte Konzepte einer „Wunderheilung in zwei Wochen“ oder ihre vermeintlich einzigartige Diät. Ich habe auf diese Kolumne ein großes Feedback erhalten. Häufig wurde ich gefragt, was ich generell von alternativen Heilmethoden halte.

Um das zu beantworten, muss man erst einmal die Frage stellen: Was bedeutet alternativ überhaupt? Und warum differenzieren wir eigentlich zwischen „Schulmedizin“ und alternativer beziehungsweise integrativer Medizin? Ich als junger ärztlicher Kollege habe immer das Gefühl, ich müsste mich zwischen diesen beiden Lagern entscheiden. Und wenn man versucht, seinen eigenen Weg zu finden, wird man von beiden Seiten schräg angeschaut. Es fühlt sich an, als ob man ständig rote Linien überschreitet und nur darauf warten darf, kritisiert zu werden. Im stillen Kämmerlein der Niederlassung fällt es wahrscheinlich leichter, einen Mittelweg zu finden. Aber sobald man in der Öffentlichkeit steht, scheint man in den Augen vieler Rede und Antwort schuldig zu sein. Meine Intention ist jedenfalls klar: Ich möchte wissenschaftlich basiert handeln und dabei trotzdem jedem seine Präferenzen lassen.

Vor zwei Wochen habe ich einen Kongress für Mikroimmuntherapie besucht, organisiert von der Medizinischen Gesellschaft für Mikroimmuntherapie. Bei dieser Veranstaltung drehte sich alles um unser Immunsystem und die Mitochondrien als Kraftwerke der Zellen. Mikrobiologen, Biologen, Ärzte und Heilpraktiker haben wissenschaftlich fundiert über die Arbeitsweise unseres Immunsystems aufgeklärt, neue Erkenntnisse über Abläufe und physiologische Funktionen präsentiert und Fallbeispiele ihrer Patienten vorgestellt. Besonders spannend waren in meinen Augen die ersten Ergebnisse zu Erkrankungen, die wir aktuell nur schwer verstehen und behandeln können. So wird bei Long COVID und ME/CFS erst allmählich klar, was wirklich im Körper passiert. Es gibt Hinweise darauf, dass bei diesen Krankheiten – einfach gesprochen – auch unser Immunsystem in Schieflage geraten ist.

Nach der Rückkehr vom Kongress ist für mich klar: Es lohnt sich, immer wieder über den Tellerrand hinauszuschauen. Denn ohne Weiterentwicklung und Forschung auch in Bereichen, die wir aktuell noch nicht verstehen, und ohne alternative Therapieansätze, die unseren Patientinnen und Patienten neue Hoffnung schenken, geben wir meines Erachtens einen großen Teil unserer Kompetenzen als Ärzte auf.

Ein weiteres Beispiel ist die Chirotherapie. Sicherlich ist das Konzept eines ausgerenkten Wirbels, mit Verlaub, totaler Schwachsinn. Dennoch scheint es – sei es durch eine Aktivierung des Nervensystems, das Lösen eines Unterdrucks oder welchen Mechanismus auch immer – vielen Patienten kurzzeitig zu einer Linderung ihrer Beschwerden zu verhelfen. Dass dies nicht der heilige Gral der Rückengesundheit ist, sollte jedem klar sein. Aber man kann die Methode meiner Meinung nach zusätzlich anwenden, um Patientinnen und Patienten wieder auf den richtigen Weg zu bringen.

Das ist meine Sichtweise. Ich lade Sie wieder herzlich dazu ein, Ihre zu teilen. Damit ich weiter dazulernen kann, aber auch, damit wir weiterhin gegenseitig von einem Austausch profitieren.