Praxiskolumne GVSG: Lässt sich das Steuer herumreißen ohne Steuerung?

Autor: Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth

Die Patientensteuerung findet im Gesetz leider keinen Platz. Die Patientensteuerung findet im Gesetz leider keinen Platz. © LALAKA – stock.adobe.com

In der Medizin ist „abwartendes Offenhalten“ häufig keine schlechte Strategie. Bevor man als Hausärztin oder Hausarzt aktiv wird, beobachtet man oft zunächst einmal nur den Verlauf und greift ein, wenn sich der Zustand dauerhaft nicht bessert oder akut verschlechtert. Wenn die Diagnose dann allerdings eindeutig ist, muss man auch entschlossen handeln. 

Wenn es um die Krise der hausärztlichen Versorgung geht, hat die Politik ebenfalls jahrelang das Prinzip des „abwartenden Offenhaltens“ mit geradezu beängstigender Geduld praktiziert. Selbst als die Krise schon längst zweifelsfrei diagnostiziert war, konnte man sich nicht zum Handeln durchringen. Lieber hat man gewartet, bis die hausärztliche Versorgung kurz vor dem Kollaps steht. Jetzt bewegt sich etwas. Zumindest den Zustand des kompletten Nichtstuns hat man nun hinter sich gelassen.

Endlich ist das Gesetz da, das das Ruder rumreißen soll: das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG). Ist es der große Wurf, der die hausärztliche Versorgung langfristig sichert? Die kurze Antwort lautet „nein“. Der große Wurf ist es nicht, aber es ist dennoch deutlich mehr als alles, was die Vorgängerregierungen in den letzten Jahren hinbekommen haben. 

Allen voran ist da die Entbudgetierung zu nennen. Nach Jahren des Werbens und des Kämpfens gegen immense Widerstände scheint sie nun auf der Zielgeraden. 

Alle erbrachten Leistungen sollen zukünftig auch bezahlt werden. Regionen wie Hamburg oder Berlin leiden schon seit Jahren unter dem Budget-Knüppel. Auszahlungsquoten von 70 % sind keine Seltenheit! In den letzten Monaten sind sogar noch weitere KV-Regionen wie Baden-Württemberg hinzugekommen.

Die Entbudgetierung ist also sicher ein wichtiger Baustein zur Rettung der Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung. Klar ist aber auch, dass es hier um eher übersichtliche Summen geht im Vergleich zu dem, was derzeit in die Krankenhäuser gepumpt wird.

Gut ist auch die Anhebung der Bagatellgrenze bei Regressen auf 300 Euro. Natürlich wäre es am besten, wenn Regresse endlich komplett abgeschafft würden. Dennoch ist es ein großer Schritt nach vorne, denn mit der neuen Regelung würden knapp 70 % aller Prüfungen wegfallen. Auch die Vorhaltepauschalen und die Umstellung der bisherigen Quartalspauschalen haben Potenzial, allerdings wird es hier darauf ankommen, was die Selbstverwaltung in den Verhandlungen daraus macht. 

Eine Lücke hat das Gesetz leider. Das Thema Patientensteuerung, die Gretchenfrage der Zukunft unseres Gesundheitswesens, wird komplett ignoriert. Der Gesetzgeber tut nichts dafür, dass die Patient*innen nicht wie Flipperkugeln durch das System gejagt werden. Alle Expert*innen, inklusive des Sachverständigenrates, sind sich einig, dass hausärztliche Steuerung das Gebot der Stunde ist. Allein die hausarztzentrierte Versorgung, an der bundesweit knapp neun Millionen Versicherte teilnehmen, leistet genau das. 

Ursprünglich war vorgesehen, HZV-Versicherten einen 30 Euro Bonus auszuzahlen. Das hätte die dringend notwendige Patientensteuerung schnell und zielgenau gefördert. Offensichtlich hat die Ampelregierung hier der Mut verlassen. Insbesondere die FDP war immer auf Blockadekurs. Die Kassen haben ebenfalls noch nicht verstanden, dass sie ein ungesteuertes Gesundheitssystem am Ende teurer kommt als eine Förderung der gesteuerten primärärztlichen Versorgung. ,,Dumm ist der, der Dummes tut!“, wissen wir. Vielleicht sind die Bundestagsabgeordneten klüger als Krankenkassen und Kabinett und im parlamentarischen Verfahren wird noch etwas bewegt.