Anzeige

Praxiskolumne L’ Evidence, c’est moi!

Autor: Dr. Nicolas Kahl

Die Qualität der Weiterbildung hat im Krankenhaus unter den DRG gelitten. Die Qualität der Weiterbildung hat im Krankenhaus unter den DRG gelitten. © sudok1 – stock.adobe.com
Anzeige

Mit Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach habe ich mich zum ersten Mal während meines Zivildienstes vor über 15 Jahren inhaltlich auseinander gesetzt. Da ich auf dem Weg in die nächste Unfallchirurgie täglich zwei Stunden ÖPNV-Fahrten (damals ohne Smartphone) hinter mich bringen musste, habe ich mir unter anderem zwei seiner Bücher zu Gemüte geführt.

Hängengeblieben ist bei mir seine Ansicht, dass eine „doppelte Facharztversorgung“ wie in Deutschland mit Gebietsfachärzten in den Kliniken und niedergelassenen Gebietsfachärzten im europäischen Vergleich ein Unikum ist und unnötig hohe Kosten produziert. Vor diesem Hintergrund hat sich dann sozusagen von mir gänzlich unbemerkt eine Entscheidung entwickelt: Wenn ich später mal ambulant arbeiten möchte, dann nur als Facharzt für Allgemeinmedizin. Man konnte ja schließlich nicht wissen, ob Prof. Lauterbach irgendwann noch zu politischer Entscheidungsgewalt gelangen würde.

Nun ist er da. Und ich bin ganz froh, als Niedergelassener in der Allgemeinmedizin mein Glück gefunden zu haben. Also haben wir kein Konfliktpotenzial – könnte man denken. In den letzten Wochen gab es dann aber doch zwei Meldungen, über die ich mich berufspolitisch sehr gewundert habe – und die vor allen Dingen völlig aus heiterem Himmel aus dem BMG abgefeuert wurden.

Aus dem Referentenentwurf zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) geht hervor, dass beabsichtigt ist, zunehmend auch Krankenhäusern zu ermöglichen, allgemeinmedizinische Institutsambulanzen zu errichten, um ein „dauerhaftes verlässliches (allgemeinmedizinisches) Versorgungs-angebot“ aufzubauen. Außerdem könne die Weiterbildung „aus einer Hand im stationären und im ambulanten Bereich stattfinden“, und das leiste einen Beitrag zur Nachwuchsgewinnung.

Für mich purer Hohn. Gerade die Qualität der Weiterbildung hat im Krankenhaus unter den DRG so sehr gelitten, dass die meisten allgemeinmedizinischen Ärzt*innen in Weiterbildung drei Kreuze machen, sobald sie aus der Klinik raus dürfen. Während man in den allgemeinmedizinischen Praxen stets eine 1:1 Betreuung durch einen Facharzt genießt, kennen wir es aus vielen Kliniken, dass dort nur ab und zu mal ein Facharzt bei den Ärzt*innen in Weiterbildung vorbeischaut, um sicherzugehen, dass nichts Schlimmeres passiert. Strukturierte Weiterbildung ist oft Mangelware.

Und zu hoffen, dass gute Fachärzt*innen den Weg zurück an die Klinik finden, um dort die angedachten Ambulanzen zu betreiben, ist bei den derzeitigen Arbeitsmodellen der Kliniken, dem immer noch alltäglichen Herrenwitz-Sexismus und Mom-Shaming kaum vorstellbar. 

Die Vorstellung wiederum, dass ein in der Klinik ausgebildeter Allgemeininternist die Allgemeinmedizin „genauso gut“ könne, wie ein Facharzt für Allgemeinmedizin mit breiter ambulanter Erfahrung, ist Realitätsverachtung. Es sollte eher die allgemeinmedizinische Tätigkeit und Weiterbildung attraktiver gestaltet und der Wandel hin zur Teampraxis gefördert werden, als diesen Bereich auch noch an die jetzt schon überforderten Kliniken zu übertragen.

Und der zweite beachtenswerte Schuss: Zum Ende des Jahres soll das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) aufgelöst werden, das die KBV und die Bundesärztekammer 1995 gegründet haben. Seit 2002 hat das ÄZQ Nationale Versorgungsleitlinien (NVL) zu acht großen Krankheitskomplexen entwickelt. Aus diesen NVL lassen sich praktische Handlungsempfehlungen ableiten, an denen die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) stets konstruktiv und erfolgreich mitgearbeitet hat. Dr. Günther Egidi, stv. Sektionssprecher Fortbildung der DEGAM, sagt, die neutralen und unabhängigen Leitlinien des ÄZQ seien immer ein „Bollwerk evidenzbasierter Vernunft“ gewesen. 

Doch das ÄQZ soll nun unter Prof. Lauterbach abgewickelt werden. Unklar bleibt für uns alle, ob und wie das NVL-Programm weitergeführt wird. Die Befürchtung ist, dass die Evidenzbeurteilung in Zukunft nicht mehr durch ärztlich tätige Kollegen und unabhängige Wissenschaftler der betroffenen Fachgruppen erfolgen könnte. Denn es wird gerade diskutiert, das NVL-Programm dem neu entstehenden Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) oder dem Robert Koch-Institut zu unterstellen.

Genau das darf aber nicht passieren: dass das NVL-Programm von politischen Abhängigkeiten, Partikularinteressen oder Lobbyismus geprägt wird. Denn einige Entscheidungen aus dem BMG scheinen derzeit Lauterbach-eminenzbasiert zu sein, ganz ohne Evidenz. Das darf sich nicht auf die Nationalen Versorgungsleitlinien ausbreiten.

Anzeige