Praxiskolumne „Und dafür zahle ich euch Ärzten so viel Geld?“

Autor: Dr. Ulrike Koock

Nicht immer haben Patient:innen Verständnis für die Arbeit in der Arztpraxis, die manchmal zu längeren Wartezeiten führt. (Agenturfoto) Nicht immer haben Patient:innen Verständnis für die Arbeit in der Arztpraxis, die manchmal zu längeren Wartezeiten führt. (Agenturfoto) © LIGHTFIELD STUDIOS – stock.adobe.com

An einem Vormittag in der Praxis, an dem eine lange Schlange vor dem Anmeldetresen steht: Ein Mann, Anfang 50, kommt in mein Sprechzimmer. Anzug, Hemd, seine frisierten Haare sowie der Aktenkoffer implizieren, dass er eigentlich noch zur Arbeit gehen will. Nun ist es bereits 10:30 Uhr und er musste laut meiner Patientenliste über eine Stunde warten.

Seine Miene ist muffig, als er das Zimmer betritt, der Gang beinahe aggressiv und die Stimmung suboptimal, um es nett auszudrücken. Kaum ist die Tür geschlossen, legt er auch schon los mit seiner Schimpftirade: „Wieso muss man eigentlich so lange warten, wenn man zu Euch Ärzten will?! Seit anderthalb Stunden sitze ich da draußen und alle sind vor mir dran. Alle! Ich hab das beobachtet, die sind alle nach mir gekommen!“

Ich versuche, zu beschwichtigen, doch da fällt er mir gleich wieder ins Wort. „Ich hab es doch gesehen!“

„Zum einen, Herr Bohr“ (Name geändert), sage ich ruhig, „kann es durchaus sein, dass es in der Praxis mal Notfälle oder sehr kranke Menschen gibt, die werden natürlich vorgezogen. Und leider gibt es aktuell viele sehr kranke Menschen mit Influenza, also Grippe, die können keine Stunde warten.“

Er brummelt vor sich hin und guckt aus dem Fenster. „Zum anderen“, fahre ich fort, „haben wir ja nicht nur Patienten für die Sprechstunde hier. Es gibt Menschen, die ins Labor gehen, manche haben Anwendungen oder Infusionen oder haben andere Anliegen. Wenn Sie in die Akutsprechstunde kommen, müssen Sie Zeit mitbringen. Dafür werden Ihre Probleme am gleichen Tag behandelt.“

„Aber das muss doch trotzdem schneller gehen!“ Er kann sich noch nicht beruhigen. „Sonst gehe ich eben in die Notaufnahme!“ Die Notaufnahme als Allerweltsretter. Die Zeiten sind leider auch schon länger vorbei. „Da warten Sie noch länger, glauben Sie mir. Die Notaufnahme ist für Notfälle gedacht, nicht für Menschen, die nicht warten wollen.“

„Aber ich bin ein Notfall!“, interveniert er. Damit kommen wir endlich zum Punkt, warum er da ist. In der Zeit, in der wir diskutiert haben, hätte ich wahrscheinlich schon den nächsten Patienten rufen können. „Ich habe Rückenschmerzen seit gestern! Aber wie. Ich kann kaum laufen!“

Als er wütend ins Sprechzimmer gestürmt kam, sah sein Gang recht mobil aus, aber wahrscheinlich hat die Wut ihn beflügelt. Ich untersuche ihn und kann feststellen: Wahrscheinlich ein unspezifischer Rückenschmerz als Folge von falscher Haltung im Büro, Stress und Bewegungsmangel. Die Red Flags, die es nicht zu übersehen gilt, sind unauffällig und ich kann ihn beruhigen.

„Herr Bohr, es spricht zum jetzigen Zeitpunkt nichts für einen Bandscheibenschaden oder ein ernstes Problem. Rückenschmerzen sind meist unspezifisch, das heißt, dass sie keine schwerwiegende Ursache haben und mit Bewegung und Schmerztherapie innerhalb weniger Wochen verschwinden. Sie sind meist durch Verspannungen und auch durch Stress verursacht.“

„Wochen?! Aber ich habe Schmerzen!“ Er schaut mich genervt an. „Sie bekommen ein Rezept für ein Schmerzmedikament und einmal sechs Einheiten Krankengymnastik. Bewegen Sie sich zu Hause ausreichend, stehen Sie auch mal vom Schreibtisch auf, wenn Sie arbeiten. Auch eine Wärmflasche am Abend kann helfen. Außerdem kann ich Ihnen nur empfehlen, die Rückenmuskulatur aufzubauen.“

„Und dafür zahle ich so viel Geld jeden Monat an die Krankenkasse? Ich zahle euch Ärzten so viel Geld!“ Den Vorwurf höre ich leider des Öfteren und ich versuche, Verständnis zu haben, denn schließlich verschwinden jeden Monat größere Summen vom Lohnzettel für die Krankenversicherung. Und auch die Politik bläst ins gleiche Horn und verkündete ja erst zu Jahresbeginn, der Arbeitnehmersatz müsste steigen, wollte man den Hausärzten ein höheres Einkommen zukommen lassen.

Dass diese Summen aber in den großen Topf fließen, das musste ich Herrn Bohr nochmal erklären. Nun haben wegen dieser Diskussion wieder einige Menschen lange im Wartezimmer ausharren müssen – ganz ohne Notfall.