Corona-Lockerungen – Amtsärzte fürchten Nachverfolgungsprobleme
Pfingsten hat gezeigt, wie sich gelockerte Maßnahmen auswirken. Techno-Schlauchboot-Party auf der Berliner Spree. Was als Statement zur Rettung der Clubszene gedacht war, entwickelte sich angesichts von mehr als 3000 Teilnehmern ohne Masken und Abstandswahrung zum Albtraum für die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD). Sie äußerte sich entsetzt: „Ich habe es am Anfang der Pandemie gesagt und sage es heute: Es ist nicht die Zeit für Partys! Das Virus ist nach wie vor da und eine Gefahr für die Gesundheit aller Menschen!“. In Berlin hat die erste Corona-Frühwarn-Ampel inzwischen mehrfach Rot gezeigt wegen eines hohen Reproduktionswertes.
Massenandrang gab es auch an Ostseestränden und reges Treiben in Innenstädten – vielfach ohne Mund-Nasen-Schutz und ohne Distanz. In einzelnen Regionen wurde die Neuinfektionsgrenze überschritten. Diese liegt meist bei 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner sieben Tage in Folge.
Konjunkturpaket enthält Geldspritze für die Gesundheitsämter
- CDU/CSU und SPD sehen in ihrem Konjunkturpaket auch die Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes vor. So soll die Mindestpersonalausstattung für ein Mustergesundheitsamt definiert werden. Die erforderlichen Stellen werden für die kommenden fünf Jahre finanziert, soweit die Anstellung bis Ende 2021 erfolgt. Zur leichteren Personalgewinnung müsse die Bezahlung mit dem ärztlichen Gehalt in anderen Bereichen des Gesundheitswesens mithalten können. In den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes sei dies sicherzustellen, ggf. durch die Zahlung von Funktionszulagen.
- Die KBV fordert, dass vom Gesundheitsamt angeordnete Leistungen nicht nur von Stellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes ausgeführt, sondern auch von Vertragsärzten vorgenommen werden können. Die Leistungen zur Veranlassung der Tests müssten wie die Laboruntersuchungen aus dem Gesundheitsfonds finanziert werden.
Massentestungen bei Paketdienstleistern
Ein ähnliches Vorgehen gab es bei UPS in Langenhagen. Lokale Hotspots befinden sich auch z.B. im thüringischen Sonneberg oder wurden ausgelöst durch Glaubensgemeinschaften in Frankfurt/M. und Bremerhaven bzw. durch Großfamilien in Göttingen. Der Göttinger Fall verdeutlicht, welche Folgen die Nichteinhaltung von Quarantänemaßnahmen haben kann. „Ausbruchsgeschehen COVID-19 im Zusammenhang mit mehreren größeren privaten Feierlichkeiten“, meldete die Stadtverwaltung am 29. Mai. Ein Mann hatte sich nicht an Quarantäneauflagen gehalten und war Auslöser für zahlreiche weitere Infektionen. Über 100 Infizierte gibt es inzwischen, mehr als 200 Kontaktpersonen stehen unter Quarantäne. Infektionen gibt es in Sportvereinen, im Freibad und im Pflegeheim. Alle Schulen wurden kurzfristig vorsorglich geschlossen. In vielen deutschen Gesundheitsämtern herrscht seit Jahren Personalmangel. Grund ist u.a. eine unzureichende Vergütung. Schon seit Beginn der Pandemie helfen deshalb Freiwillige aus: Medizinstudenten, Ärzte im Ruhestand, Personal aus Kurzarbeit. In Berlin unterstützt seit Anfang Juni die Bundeswehr die Mitarbeiter einzelner Gesundheitsämter. Soldaten helfen bei Kontaktverfolgung und Telefonhotline. Auch die Medizinischen Dienste haben Mitarbeiter entsandt. Über 800 von ihnen sind derzeit in den Gesundheitsämtern sowie in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern auf freiwilliger Basis tätig. Die Freiwilligen würden jetzt aber nach und nach abberufen, mahnt der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, kein Personal sei dauerhaft in den öffentlichen Gesundheitsdienst eingestellt worden.Gute Containmentstrategie erfordert gute Personallage
„Wenn jetzt weitere Lockerungsmaßnahmen wie auch der Wegfall der Maskenpflicht, der Abstandsregelung und der Hygienevorschriften umgesetzt werden, führt das zu einer erheblichen Mehrbelastung in den Gesundheitsämtern“, erklärt die Vorsitzende des ÖGD-Bundesverbandes, Ute Teichert. Nötig seien „genügend Menschen, die die Containmentstrategie sichern und Kontakte nachverfolgen können“. Bei einer aktuellen NDR/WDR-Umfrage unter 380 Gesundheitsämtern, bei der 178 Ämter antworteten, wurde deutlich, dass in 119 Stadt- und Landkreisen (67 %) nicht ausreichend Mitarbeiter zur Verfügung stehen, um Infektionsketten schnell zu erkennen. Geschaffen werden sollten laut Bund-Länder-Beschluss vom April „erhebliche Personalkapazitäten“, mindestens ein Team von fünf Personen pro 20.000 Einwohner. In Hotspots sollten es mehr Teams sein.Medical-Tribune-Bericht