Cannabis Das Für und Wider der Legalisierung
Cannabiskonsum ist längst soziale Realität
Prof. Dr. Heino Stöver, Sozialwissenschaftler und geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung Frankfurt (ISFF): „Cannabishandel streng staatlich regulieren mit Schwerpunkt auf Jugendschutz.“
Cannabis ist die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale psychoaktive Substanz in Deutschland. Der Anteil der Personen, die sie bereits mindestens einmal in ihrem Leben konsumiert haben, beträgt rund ein Drittel bei Erwachsenen und rund ein Zehntel bei Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren. Bezogen auf die letzten zwölf Monate haben über 7 % der Erwachsenen und über 8 % der Jugendlichen konsumiert. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 1,5 Mio. Menschen in Deutschland regelmäßig Cannabis zu sich nehmen und 3,5 Mio. gelegentlich.
Der Gebrauch von Cannabisprodukten stellt also für einen beträchtlichen Anteil der Bevölkerung eine Realität dar, der mit Strategien der Gesundheitsförderung und Prävention und nicht auf dem Weg der Strafverfolgung zu begegnen ist. Der Gelegenheitskonsum bei Erwachsenen ist in der Regel gesundheitlich unproblematisch, auch wenn neben positiven Wirkungen (z.B. Entspannung, Euphorie) auch negative möglich sind (Angstzustände, Verwirrung, Halluzinationen). Nur eine kleine Minderheit der Cannabisgebrauchenden weist Symptome einer Abhängigkeit auf, die wenigsten konsumieren hoch riskant und gesundheitsgefährdend (täglicher Konsum: 1–2 %).
Es gibt einen wissenschaftlichen Konsens, laut dem nur dauerhafter und hoch dosierter Konsum mit beträchtlichen psychischen, sozialen und körperlichen Risiken verbunden ist. Dies betrifft insbesondere dafür anfällige Personen und Jugendliche. Riskanter Cannabiskonsum Jugendlicher und Erwachsener soll daher möglichst früh erkannt und mithilfe wissenschaftlich erprobter Interventionsprogramme verhindert werden.
Bisherige Erfahrungen mit der Legalisierung (etwa in Uruguay, verschiedenen Bundesstaaten der USA und Kanada) haben – entgegen landläufiger Vermutungen – nicht dazu geführt, dass der Konsum, insbesondere bei Jugendlichen, zugenommen hat oder die öffentliche Sicherheit gefährdet wurde. Notwendig ist daher ein gesundheitspolitischer Ansatz, der einen selbstbestimmten, vorsichtigen, genussorientierten und möglichst risikoarmen Konsum fördert. Ein solcher Ansatz ist aber nur unter legalen Rahmenbedingungen möglich, die eine strenge staatliche Regulierung des Cannabishandels mit einem Schwerpunkt auf Jugend- und Verbraucherschutz beinhalten. Kinder und Jugendliche sollten im Rahmen ihrer schulischen Bildung sowie in ihrer Freizeit lebensbegleitend regelmäßig durch geeignete universelle und selektive Präventionsmaßnahmen erreicht werden – natürlich auch in der hausärztlichen Praxis.
Bisher wird der Besitz von Cannabis ab einer gewissen Menge strafrechtlich geahndet, die Polizei verfolgt jährlich hunderttausende Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz – zu 80 % handelt es sich um Cannabiskonsumierende. Meist sind es sinnlose Verfahren, die eingestellt werden, weil es um kleine Mengen zum Eigenkonsum geht.
Der strafrechtliche Ansatz hat nicht zu einer Reduzierung des Konsums geführt. Die Behörden werden erheblich entlastet, wenn sie nicht gezwungen sind, Cannabisbesitz zu verfolgen. Gleichzeitig bedeutet dies einen ersten Schritt zur grundsätzlichen Entkriminalisierung von Menschen, die Drogen gebrauchen.
Ein dauerhafter Entzug der Fahrerlaubnis sollte künftig nur bei tatsächlich nachgewiesener aktiver Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss angeordnet werden. Dabei ist eine fundierte Anpassung des THC-Grenzwertes und dessen Normierung vorzunehmen, die (analog zur Regelung bei Alkohol) für THC einen Toleranzgrenzwert von 10 ng/ml Blutserum vorsieht. Bei diesem entspricht die Beeinträchtigung etwa der bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 ‰.
Strikte Reduzierung des Angebots beibehalten
Prof. Dr. Rainer Thomasius, Psychiater und Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am UKE-Hamburg: „Erfolge der bisherigen Cannabispolitik nicht durch Legalisierung gefährden.“
Die Kinder- und JugendpsychiaterInnen und -psychotherapeutInnen sowie die Kinder- und JugendärztInnen in Deutschland haben in einem gemeinsamen Statement der Fachgesellschaften und Verbände vor den möglichen Risiken einer Cannabislegalisierung gewarnt. Sie appellieren, etwaige Legalisierungsbestrebungen nicht auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen auszutragen.
Alle Vorsätze, die Legalisierung mit einem bestmöglichen Jugendschutz zu verbinden, haben sich in vielen Ländern als Illusion erwiesen. Studien aus den USA belegen, dass die Legalisierung auch dann, wenn dies nur für erwachsene Personen vorgesehen ist, doch auch für Jugendliche mit starken Zuwächsen beim Cannabismissbrauch sowie der Entwicklung einer Abhängigkeit einhergehen. In manchen US-Bundesstaaten mit einer Legalisierung liegen die Konsumquoten in der Bevölkerung um 20–40 % höher als im US-Bundesdurchschnitt. Cannabisprodukte, die von Erwachsenen legal erworben werden, werden trotz Verbots an Jugendliche durchgereicht.
Die Folgen für die medizinische Versorgung von Cannabiskonsumierenden sind alarmierend. In Colorado (USA) hat sich seit der Legalisierung die Rate der cannabisbedingten Vergiftungsfälle und Krankenhausaufnahmen mehr als verdoppelt. Bei den cannabisbezogenen Notrufen in Vergiftungszentralen werden die größten Zuwächse bei Minderjährigen verzeichnet. Der Anteil der Suizide mit Cannabisbeteiligung ist in Colorado auf das Doppelte angestiegen. Bei den 10- bis 17-Jährigen liegt der Anteil der Suizide mit Cannabisbeteiligung mit 51 % am höchsten. Auch die Zahl tödlicher Verkehrsunfälle unter Cannabiseinfluss ist in Colorado auf das Doppelte angestiegen. Zudem zeigt die Legalisierung in den USA und Kanada, dass die angestrebte Austrocknung des Schwarzmarktes nur bedingt gelingt und sich Konsumierende die Cannabisprodukte zu einem nicht geringen Anteil auch weiterhin über illegale Quellen beschaffen.
Die Legalisierung verharmlost auch die gesundheitlichen Gefahren, negativen Folgen und Langzeiteffekte des Cannabiskonsums auf die altersgerechte physische und psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Cannabiskonsum in Pubertät und Adoleszenz führen zu strukturellen und funktionellen Veränderungen im Gehirn mit der Folge von Einbußen in Gedächtnis-, Lern- und Erinnerungsleistungen sowie Minderungen der Aufmerksamkeit, Denkleistung und Intelligenz. Weiterhin besteht bei vulnerablen Personen ein dosisabhängiger Zusammenhang mit Psychosen, depressiven Störungen, Suizidalität, bipolaren Störungen, Angsterkrankungen sowie zusätzlichem Missbrauch von Alkohol und anderen illegalen Drogen.
Bei Cannabiskonsum in der Schwangerschaft werden Frühgeburten und Entwicklungsstörungen des Kindes beobachtet. Intensiv konsumierende Kinder und Jugendliche brechen häufiger die Schule ab und weisen ungünstigere Bildungsabschlüsse als ihre nichtkonsumierenden Altersgenossen auf.
Die Programmatik der deutschen Cannabispolitik hat sich mit Blick auf Konsumquoten und Hilfestellungen für Suchtkranke in der Vergangenheit bewährt. Sie fußt auf vier Säulen: Prävention, Hilfen, Schadensminimierung und Angebotsreduzierung. In der deutschen Bevölkerung liegen die Quoten täglichen oder fast täglichen Cannabisgebrauchs im europäischen Vergleich niedrig (mit 0,4 % für die Gesamtbevölkerung, europäischer Durchschnitt 0,7 %). Kaum irgendwo anders in Europa werden vergleichbar viele Cannabisabhängige in eine Suchtbehandlung vermittelt.
Diese erfolgreiche Programmatik inklusive ihrer strikten Angebotsreduzierung sollte fortgesetzt und nicht etwa durch ungünstige Folgen einer Legalisierung beeinträchtigt werden.