Cannabis in den Niederlanden: „Das Projekt ist gescheitert, die Studienlage miserabel“
„Die Geschichte von Cannabis in den Niederlanden ist keine Erfolgsgeschichte“, sagte Professor Dr. Hans-Christian Wartenberg von der Universität Amsterdam. Natürlich ist der Markt für Cannabis als Freizeitdroge gewaltig. Aber als Medikament hat es weit weniger reüssiert, als es die Experten erwartet hatten.
Die Erlaubnis zum medizinischen Einsatz der Pflanze liegt dort schon 22 Jahre zurück und lieferte die Vorlage für die deutsche Gesetzgebung vor drei Jahren, beschrieb der Referent. Der Absatz blieb jedoch weit hinter den Erwartungen zurück: Mit 100 000 Einheiten à fünf Gramm pro Jahr hatte man gerechnet. Tatsächlich kamen gerade einmal 5000 Packungen zusammen. „Da war der Coffeeshop wohl näher als der Schmerztherapeut“, scherzte Prof. Wartenberg. Diese Bemerkung, erläuterte er, hat einen ernsten Hintergrund: Von Anfang an wurden die Hanfblüten von vielen nicht als Tee oder verdampft konsumiert, sondern auf alle möglichen anderen, nicht bestimmungsgemäßen Methoden – wie Haschisch eben auch.
Der Höhenflug der Umsatzzahlen nach 2010 endete aufgrund einer im Fachblatt JAMA erschienenen Metaanalyse, berichtete Prof. Wartenberg. Denn die Krankenkassen lasen aus der Arbeit, dass die Studien wenig Nutzen der Arzneimittel ergeben hatten – die Untersuchungen zu Schmerz und Spastizität noch etwas mehr als jene zu Übelkeit und Erbrechen unter Tumortherapie oder zur Vorbeugung von Gewichtsverlust.
Vielleicht als Add-on, wenn nichts anderes hilft
Seither verweigern sie ausnahmslos die Kostenübernahme für die Präparate. Das geschah ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, als in Deutschland die Cannabisagentur als Behörde etabliert wurde. Sie kontrolliert alles: vom Anbau, der Ernte und Verarbeitung über Qualitätsprüfung, Lagerung und Verpackung bis hin zur Abgabe an die Großhändler.
Deutsche Ärzte sehen Cannabis noch kritischer als ihre niederländischen Kollegen, meinte Prof. Wartenberg. So hat sich die Deutsche Schmerzgesellschaft in einem Positionspapier klar festgelegt, dass sie zumindest für die onkologische Schmerztherapie keinen wissenschaftlichen Beleg einer Wirksamkeit sieht. „Alle Studien erreichten nicht den definierten primären Endpunkt einer Schmerzlinderung größer als Placebo“, heißt es darin. Bei einigen sekundären Endpunkten habe es zwar Hinweise auf Überlegenheit gegeben. Aber einer Übersichtsarbeit zufolge „konnten selbst diese geringen Effekte nicht nachgewiesen werden“.
Vielleicht ist Cannabis für einen individuellen Heilversuch als Add-on geeignet, wenn nichts anderes hilft. Prof. Wartenberg gab aber zu bedenken, dass die Wirkung vielleicht nicht stärker ist als die von Placebo, „die Nebenwirkungen aber sehr wohl“.
Cannabinoide aus dem Drogeriemarkt
In den Niederlanden hat der Markt entsprechend reagiert: Dort werden Cannabinoide mittlerweile in Drogeriemärkten gehandelt. „Als Nahrungsergänzungsmittel – die muss man nicht genau untersuchen“, so Prof. Wartenberg. Er sieht das Cannabisprojekt in den Niederlanden als gescheitert an, die Studienlage als miserabel.
Quelle: 34. Deutscher Krebskongress 2020