Das Gesundheitsministerium beansprucht das letzte Wort bei Kassenleistungen
„Wir haben nur gemietet, wir sind flexibel“, sagte der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Professor Josef Hecken bei der ersten Pressekonferenz im neuen Gebäude. Die Liegenschaft ist nur einige Hundert Meter entfernt von der alten, die Betriebskosten sind jetzt geringer. Prof. Hecken verwies auch aufs Einhalten der Bauzeit, wodurch der G-BA lückenlos weiterarbeiten konnte.
Notwendig ist das auch, denn die Menge an Aufträgen ist enorm und stetig überträgt der Gesetzgeber neue Aufgaben. Zugleich werde der G-BA „an vielen Stellen attackiert mit dem Argument, er sei zu langsam und zu bürokratisch“, klagte der Vorsitzende, nachdem Spahns Plan zur Methodenbewertung des G-BA bekannt wurde. Der Frage, wie schneller gearbeitet werden könne, verschließe sich der G-BA nicht, so Prof. Hecken. Die Ursache, dass sich Verfahren über Jahre hinziehen, läge oft an der schlechten Evidenzlage. Der Bundesausschuss ermittele Schaden-Nutzen-Relationen, d.h. er prüfe, ob ein Medikament oder eine Methode mehr nutzt als schadet. Künftig wolle nun das BMG dort, wo der G-BA bei unzureichender Evidenz negativ entscheide, nach eigenen Evidenzrecherchen ggf. einen Leistungseinschluss in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) per Rechtsverordnung durchsetzen.
Was wird aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot?
Verankert werden soll die Ergänzung für die beschleunigte Methodenbewertung im Implantateregister-Errichtungsgesetz. In einer Stellungnahme lehnen alle unparteiischen Mitglieder des G-BA die BMG-Pläne strikt ab, „denn mit ihnen sei ein Weg in die Beliebigkeit vorprogrammiert“. Ein positives Schaden-Nutzen-Verhältnis sei „elementarer Schutz der Patienten vor unnützen oder gar schädlichen Behandlungen“.
Die drei Unparteiischen erinnern daran, dass Leistungen dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot des Sozialgesetzbuchs zu entsprechen haben. Diese Bindung solle nun aufgegeben werden, befürchten sie. Sie sehen es als einen „Systembruch“ an, wenn Behandlungsmethoden künftig „nach Belieben und politischer Opportunität in die GKV gelangen“.
„Ich stelle nicht infrage, dass wir etwas tun müssen“, so Prof. Hecken. Am Beispiel des von Jens Spahn forcierten Leistungseinschlusses der Liposuktion beim Lipödem machte er jedoch die Dimension von Entscheidungen deutlich: Bei bis zu 30 000 Euro pro Intervention und etwa sieben Mio. Betroffenen kämen bei einer lückenlosen Inanspruchnahme auf die GKV zusätzliche Kosten von bis zu 21 Mrd. Euro zu.
Der G-BA-Chef warnte deshalb vor Aktionismus, zumal bis 2024 eine Erprobungsstudie läuft und von 2020 bis 2024 – wie vom G-BA trotz unzureichender Erkenntnislage beschlossen – für Betroffene im Stadium 3 die Liposuktion bezahlt wird. Der G-BA will nach Studienende erneut entscheiden. Mit diesem Beispiel erklärt sich auch eine oft lange Verfahrensdauer in der Methodenbewertung. Prof. Hecken kann sich vorstellen, dass ein Bewertungsverfahren zukünftig bereits mit der Beauftragung einer Erprobungsstudie als abgeschlossen gelten kann.
IKK: „Das ist ein Einstieg in eine Staatsmedizin.“
Die Neuregelung zur Methodenbewertung erregt nicht nur beim G-BA die Gemüter. Spahns Vorstoß stößt auf breites Unverständnis. Besorgt äußert sich Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e.V.: „Das ist nichts anderes als die Abkehr von den bewährten Konfliktregelungsmechanismen der gemeinsamen Selbstverwaltung und ein Einstieg in eine Staatsmedizin!“ Ein Freibrief, sich über Entscheidungen des G-BA hinwegzusetzen, sei nicht akzeptabel. „Keine Einflussnahme des BMG in die Methodenbewertung des G-BA“, fordert der Verband der Ersatzkassen. Und die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Dr. Doris Pfeiffer, betont: Gebraucht werden zuverlässige und transparente Verfahren und keine Entscheidungen, die auf Anweisung eines Ministers mal so und mal so getroffen werden können.
Keine Parallelstrukturen im Regierung"sapparat schaffen
Als „staatlichen Dirigismus in Reinform“ bezeichnet Bundesärztekammer-Präsident Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery die angestrebte Kompetenzausweitung. Es sei nicht im Interesse der Patienten, wenn bei der Bewertung neuer Behandlungsmethoden politisches Kalkül vor wissenschaftliche Evidenz gehe.
Selbst vonseiten des Koalitionspartners SPD kommt Kontra. „Diesen Vorstoß haben wir bereits im Gesetzgebungsverfahren zum TSVG (Terminservice- und Versorgungsgesetz, d. Red.) aus guten Gründen verhindert“, erklärt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar. Es könne nicht ernsthaft gewollt sein, dass künftig Parallelstrukturen in einem Regierungsapparat losgelöst von wissenschaftlichen Prozessen und medizinischen Erkenntnissen über Behandlungsmethoden entschieden.
Medical-Tribune-Bericht