Der Fortschritt darf nicht vor der Praxistür haltmachen

Kolumnen Autor: Erich Kögler

Deutschland sei nach Meinung vieler Experten schon immer eher skeptisch gegenüber technischen Neuerungen. Deutschland sei nach Meinung vieler Experten schon immer eher skeptisch gegenüber technischen Neuerungen. © Fotolia/Monet

Im Wandel der Digitalisierung - in unserer Meinungskolumne "Mit spitzer Feder".

Ob beim Online-Banking, beim Bezahlen per App oder bei der mobilen Bordkarte für den Flug – in vielen Lebensbereichen ist die Digitalisierung bereits weit fortgeschritten. Im Gesundheitswesen jedoch hinken wir Deutschen der Entwicklung noch ziemlich hinterher. Kleinere Nachbarländer wie die Niederlande oder Österreich sind da schon wesentlich weiter.

Deutschland ist nach Meinung vieler Experten schon immer eher skeptisch gegenüber technischen Neuerungen. Damit laufen wir jedoch Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Das betrifft etwa die Umsetzung von elektronischen Patientenakten oder E-Health-Plattformen.

Dabei ist die Bevölkerung hierzulande für ein digitales Gesundheitswesen technisch durchaus gerüstet. Die Menschen stehen den neuen Angeboten zudem positiv gegenüber. Laut der von einer Krankenkasse veranstalteten Umfrage nutzt unter den 60- bis 70-Jährigen fast jeder Zweite ein Smartphone. Diese Gruppe könne sich vorstellen, darüber nicht nur Kalorienverbrauch und gegangene Schritte, sondern auch medizinisch verwertbare Vitaldaten zu dokumentieren.

„Drei Viertel der Deutschen befürworten das Speichern ihrer Daten auf der eGK“

Zwei von drei Bürgern glauben, dass mit ihren gesammelten Daten medizinische Fortschritte erzielt werden können, mehr als 60 % sind sogar bereit, hierfür ihre anonymisierten Daten bereitzustellen. Worauf also warten wir noch? 82 % der Menschen in Deutschland gehen davon aus, dass Online-Kommunikation mit der Arztpraxis in zehn Jahren selbstverständlich sein wird. Drei Viertel der Deutschen befürworten außerdem, dass ihre Daten in einer elektronischen Gesundheitsakte (eGK) gebündelt werden.

Auch beim Sammeln und Verwerten medizinischen Wissens gibt es hierzulande enormen Nachholbedarf. Obwohl das gedruckte Nachschlagewerk längst ausgedient hat, ist der Grad von Vernetzung und Integration diesbezüglich erschreckend niedrig. Die Datenberge wachsen, doch nach wie vor liegen viele Daten nur verstreut vor.

Der Arzt mit seinem Sachverstand und seiner Erfahrung wird dennoch immer unersetzbar bleiben, auch wenn der Computer immer mehr Aufgaben übernehmen sollte. Ein unterbewusstes Konkurrenzdenken, gar eine gewisse Furcht ist in diesem Zusammenhang völlig fehl am Platze. Das IBM-System „Watson“ etwa vergleicht innerhalb von drei Minuten 200 Millionen Seiten, die mit Fachinformationen gespickt sind. Das schafft der beste Arzt nicht!

„Der Fortschritt darf nicht vor der Praxistür haltmachen“

Weiteres Beispiel? Okay: An der Stanford University wurde ein Computer mit 130 000 Fotos von gut- und bösartigen Hauttumoren gefüttert. Anschließend wurden ihm Fotos mit Hauttumoren zur Diagnostik vorgelegt und die Ergebnisse mit denen von Hautärzten verglichen. Die Resultate waren gleich gut. Der Unterschied jedoch: Die Dermatologen hatten eine durchschnittliche Berufserfahrung von elf Jahren, der Computer hingegen war lediglich zwei Wochen lang trainiert worden!

Der Fortschritt darf also nicht vor der Praxistür haltmachen, doch gilt es auch, mit derart sensiblen Daten in höchst verantwortungsvoller Art und Weise umzugehen. So muss sichergestellt werden, dass die Patienten jederzeit Einsicht ihre elektronische Akte haben, dass sie sowohl von zu Hause als auch von unterwegs Zugriff darauf haben und dass nur sie entscheiden, wer ihre Daten einsehen darf. Das wird nicht ganz einfach sein ...