Digitalisierung in der Medizin Der Strategie sollen jetzt Gesetze folgen

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Bis Ende 2024 soll die elektronische Patientenakte (ePA) für alle gesetzlich Krankenversicherten eingerichtet werden. Bis Ende 2024 soll die elektronische Patientenakte (ePA) für alle gesetzlich Krankenversicherten eingerichtet werden. © woravut – stock.adobe.com

Kaum gelangte die „Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege“ des BMG in die öffentliche Diskussion, wurde auch schon ein Gesetzentwurf angekündigt. An ambitionierten Zielen mangelt es nicht.

Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach und die für die Digitalisierung zuständige BMG-Abteilungsleiterin Dr. Susanne Ozegowski nutzten den Fachärztetag des Spitzenverbandes Fachärzte (SpiFa), um ihre Argumente für das „Digitalgesetz“ und das „Gesundheitsdatennutzungsgesetz“ vorzutragen und gesetzgeberische Aktivitäten anzukündigen. Die Pläne klingen zum Teil sehr konkret:

Bis Ende 2024 soll die elektronische Patientenakte (ePA) für alle gesetzlich Krankenversicherten eingerichtet werden. Wer bestimmte Eintragungen nicht will, kann dem widersprechen bzw. die Akte komplett löschen lassen – jedenfalls als Volljähriger (Opt-out). Damit werde der Patient Herr seiner Daten, unnötige Doppeluntersuchungen könnten vermieden werden, erklärt Prof. Lauterbach. Indem man die ePA bequem gestaltet und einen sicheren Prozess schafft, soll es bis 2025 gelingen, dass 80 % der gesetzlich Versicherten freiwillig über eine ePA samt digitaler Medikationsübersicht verfügen. 

Arzt weist auf Möglichkeit zum Widerspruch hin

Der Arzt dürfe die ePA nur einsehen, wenn der Patient es ihm über seine Versichertenkarte erlaube. Bei sensiblen Diagnosen wie etwa HIV soll vorgegeben werden, dass der Arzt fragen muss, ob diese in die ePA aufgenommen werden sollen. Zudem werde jeder Zugriff auf die ePA protokolliert. Prof. Lauterbach zeigt sich zuversichtlich, dass auch die Datenschützer überzeugt werden können. Soweit möglich, sollen die Daten strukturiert hinterlegt sein, am Anfang werden aber auch PDF-Dateien, z.B. Entlassbriefe der Kliniken, zugelassen. „Bis 2027 liegen mindestens 80 % der Laborergebnisse in der ePA vor und können an das Forschungsdatenzentrum Gesundheit weitergeleitet werden“, kündigt das BMG an.

Bis Mitte 2023 sollen die technischen Voraussetzungen zur Nutzung des E-Rezepts im gesamten Bundesgebiet bestehen. Ab Januar 2024 wird das E-Rezept verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung. Es soll dann sowohl mit Gesundheitskarte wie auch per App eingelöst werden können. In Westfalen-Lippe, wo die Erprobung lief, ist KV-Vorstandsmitglied ­Thomas Müller optimistisch, dass die Anwendung noch vor 2024 Fahrt aufnimmt.

Müller erwähnt auch die guten Erfahrungen in NRW mit dem Video-Kindernotdienst zum Jahreswechsel. In der Hälfte der Fälle sei keine Vorstellung in der Notfallambulanz mehr notwendig geworden. Was aber ebenso heißt: Die andere Hälfte brauchte noch einen Arzt. Das BMG kündigt an, den Aufbau leistungsfähiger Telemedizinstrukturen ermöglichen zu wollen. Dementsprechend soll z.B. die 30-%-Limitierung bei der KV-Abrechnung telemedizinischer Leistungen aufgehoben werden. Vorgesehen ist, dass es bis 2026 in mindestens 60 % der hausärztlich unterversorgten Regionen eine Anlaufstelle für „assistierte Telemedizin“ gibt. Das Angebot einfacher diagnostischer Leistungen mit einem zugeschalteten Arzt helfe insbesondere in ländlichen Räumen weiter, erklärt Dr. Ozegowski. Das BMG erwähnt hier auch Apotheken und Gesundheitskioske. 

Ferner sollen künftig DiGA umfassendere telemedizinische Versorgungskonzepte unter Einbeziehung von Ärzten abbilden können.

Im zweiten Quartal 2023 wird ein Messenger-Dienst für die Kommunikation zwischen Leistungserbringern, im Jahr 2024 ein Dienst für die Kommunikation zwischen Leis­tungserbringern und Versicherten etabliert, verspricht das BMG.

Dinge wie der Messenger-Dienst oder das Aufheben von Abrechnungslimits für die Telemedizin kommentiert Dr. Norbert Smetak, Vorstandsmitglied des SpiFa und Vorsitzender des Bundesverbandes Niedergelassener Kardiologen, positiv. Versorgungsfortschritte durch Telemedizin erwartet er z.B. für Patienten mit Herzinsuffizienz. Doch er fordert auch Prozesse für E-Rezept und ePA, die mit einem geringen Zeitaufwand für die Praxis verbunden sind. „Unstrukturierte Daten helfen nur bedingt“, sagt Dr. Smetak. Ebenso sei die Vollständigkeit der Informationen wichtig: Wenn in der ePA Medikation mit OTC-Produkten sowie Labordaten, z.B. Nierenwerte, gespeichert würden, helfe das bei Dosierungsentscheidungen. 

Daten für die Forschung

Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz sollen laut BMG Routine-/Abrechnungs-, Register- und Studiendaten, perspektivisch auch Genom- und ePA-Daten, für die Forschung erschlossen werden. Die Verknüpfung unterschiedlicher Datenquellen werde über Forschungspseudonyme ermöglicht. Die Daten sollen dezentral gespeichert bleiben. Bis Ende 2026 sollen mindestens 300 Forschungsvorhaben mit Gesundheitsdaten durch das Forschungsdatenzentrum Gesundheit realisiert werden. 

Außerdem soll der Einsatz sicherer cloudbasierter Systeme in ambulanten und stationären Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sowie für TI-Anwendungen erleichtert werden. Geplant ist, die federführende Datenschutzaufsicht im Sinne einer einheitlichen Datenschutzaufsichtspraxis weiterzuentwickeln. 

Auch KV-Vorstand Müller betont: Das Befüllen der Akte muss „einfach, sicher und schnell“ aus dem Praxisverwaltungssystem heraus möglich ein. Wichtig seien zudem die Kommunikation via KIM, die Vernetzung von Praxisverwaltungs- und Klinikinformationssystemen sowie die vereinfachte Möglichkeit, ein IT-System wechseln zu können.

Dr. Ozegowski weist darauf hin, dass es nicht regulatorische Vorgaben oder die Spezifikationen der Gematik seien, die einzelne IT-Vorgänge langsam machten. Das sei Herstellersache. Darum sei es wichtig, einen funktionierenden IT-Markt zu haben. Das BMG formuliert es so: Das Recht auf Interoperabilität und Datenportabilität wird gesetzlich verankert und in der Praxis schrittweise umgesetzt. 

Kongressbericht: SpiFA-Fachärztetag

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