Behandlungsfehler Eine Million Euro für ein zerstörtes Leben

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Die Richter gehen nur von leichter Fahrlässigkeit aus. Die Richter gehen nur von leichter Fahrlässigkeit aus. © sudok1 – stock.adobe.com

Wegen eines Fehlers einer Kinderkrankenschwester erlitt ein Einjähriger schwerste Gesundheitsschäden, die ihm ein normales Leben unmöglich machen. Es lag trotzdem bloß leichte Fahrlässigkeit vor, urteilte nun ein Gericht. Es setzte jedoch eine hohe Schadensersatzzahlung für Pflegerin, Belegärztin und Klinik fest.

Er wird nie sprechen, nie laufen und nie mit Gleichaltrigen spielen. Gefühle und Gedanken kann er nur eingeschränkt äußern. Selbst Essen und Schlafen sind für einen Elfjährigen seit einem Behandlungsfehler mit Angstzuständen verbunden – und all das nur wegen einer kurzen Unaufmerksamkeit einer Kinderkrankenschwester.

Das Landgericht Limburg ver­urteilte die Pflegekraft, die Klinik und die diensthabende Belegärztin nun zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von einer Million Euro. Zudem wurden sie verpflichtet, dem Jungen alle immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, die künftig infolge des Fehlers entstehen und die nicht durch Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übernommen werden.

Kind erstickte bei Antibiose fast an Speiseresten

Der Junge war 2011 als Einjähriger wegen eines Infektes in eine Klinik eingewiesen worden. Im Lauf der Behandlung sollte er ein Antibiotikum intravenös verabreicht bekommen. Als die zuständige Kinderkrankenschwester sein Zimmer betrat, aß er gerade Chips und Apfelspalten, seine Mutter war anwesend. Obwohl der Pflegerin hätte klar sein müssen, dass sich noch Speisereste im Mund des Kindes befinden könnten, verabreichte sie das Antibiotikum. Der Junge schrie, verschluckte sich, begann zu husten und lief blau an. Schließlich stellte er das Atmen ein.

Die Kinderkrankenschwester schüttelte den Jungen, erst dann setzte sie einen Reanimationsnotruf ab. Nach der Wiederbelebung wurde er auf eine Kinderintensivstation verlegt, wo unter anderem eine Bronchoskopie durchgeführt wurde. In den Bronchien fanden sich Apfel- und Chipsreste. Später wurden folgende Schäden diagnostiziert: hypoxischer Hirnschaden, infantile Zerebralparese, Epilepsie, Tetraspastik, Hüftluxation, Dysphagie und eine Intelligenzminderung ohne aktive Sprache.

Trotz der äußerst tragischen Folgen des Behandlungsfehlers ging das Landgericht nur von einer leichten Fahrlässigkeit der Pflegerin aus. Der Schaden sei bei einem Routinevorgang entstanden, der so auch vielen anderen Kinderkrankenschwestern oder Eltern hätte passieren können. Es sei nicht etwa ein besonderes persönliches Fehlverhalten gewesen, sondern könne sich in ähnlicher Weise täglich auf Kinderkrankenstationen ereignen.

Klinik haftet nicht für Leistungen der Belegärzte

Das Schütteln des Kindes sei als Überforderungsreaktion ebenso zu bewerten und unprofessionell. Derlei Vorkommnisse seien höchst selten, ein besonnenes Verhalten habe von der zwar geschulten, aber in puncto Rettungsmaßnahmen noch unerfahrenen Beschuldigten nicht erwartet werden können. Angst und Panik seien in dieser Situation nur als menschlich zu werten. Es sei nicht davon auszugehen, dass sie den Fehler bewusst in Kauf nahm oder dass er ihr gleichgültig gewesen wäre.

Die Pflegerin muss das Schmerzensgeld nicht persönlich aufbringen, da sie durch eine Haftpflichtversicherung abgesichert ist. Für die Beleg­ärztin scheint dies nicht zu gelten. Sie muss ebenfalls zahlen, da die Klinik im Behandlungsvertrag ausdrücklich ausschließt, dass sie für Leistungen der Belegärzte haftet. Das Verabreichen einer ärztlich angeordneten Antibiose falle in den Haftungsbereich der Belegärztin, so die Richter. Für das Schütteln des Kindes haftet die Klinik, da sie für die Schulung des Personals zuständig ist.

Quelle: Urteil des Landgerichts Limburg vom 28.06.2021, Az.: 1 O 45/15