Druck von Kasse und Inkassobüro – Hausarzt soll stationäre Behandlung und Schadensersatz bezahlen
Direkt nach der Blutabnahme kollabierte die Patientin plötzlich, völlig unerwartet. Eben hatte sie sich noch lebhaft mit der MFA unterhalten, dann, als diese sich kurz umdrehte, stand sie abrupt vom Blutentnahmestuhl auf und fiel im Aufstehen auch schon hin. Dabei schlug sie mit dem Kopf auf den Boden. Resultat: Gehirnerschütterung, Platzwunde, Halswirbelsäule angeknackst, Backenzahn ausgeschlagen. Im Detail wurde das aber erst später klar.
MFA und Hausarzt versorgten die Verletzung umgehend soweit möglich und wollten die Patientin dann stationär aufnehmen lassen. Das lehnte diese aber ab. Sie ließ sich von einer Freundin abholen.
11.000 Euro für Versorgung, Physio, Orthesen, Krankengeld
Später am Tag begab sich die Patientin doch noch in eine Klinik. Das Krankenhaus stellte die diversen Diagnosen und nahm die Frau stationär auf. Die Kosten für Behandlung, Versorgung, Physiotherapie, Orthesen und Krankengeld summierten sich auf 11.000 Euro. Das Geld will die Krankenkasse der Patientin vom Arzt ersetzt haben. Schließlich sei der Sturz sein Verschulden gewesen.
Der Hausarzt fand den Vorwurf so abwegig, dass er der Kasse erst mal nur ein einfaches Schreiben zukommen ließ. Es sei ihm kein organisatorisches Verschulden vorzuwerfen, auch kein medizinisches, er und seine MFA hätten alles korrekt durchgeführt und dokumentiert, er weise die Verantwortung zurück.
Auch der Patientin gegenüber, die in den ersten Wochen nach dem Vorfall noch bei ihm in Behandlung war, erklärte er, dass er weder ihr Kollabieren noch ihren Sturz hätte verhindern können. Weder für ihn noch für seine MFA seien Anzeichen sichtbar gewesen, die auf einen Kollaps hingedeutet hätten. Die Patientin sah das anders: Sie stellte Schadensersatzforderungen an den Hausarzt.
Auf sein Schreiben an die Krankenkasse erhielt der Hausarzt dann ohne jede weitere Mahnung bald eine indirekte, dafür umso deutlichere Antwort, allerdings von unerwarteter Seite: einem Inkassounternehmen. Der Hausarzt erzählt: „Mit dem Schreiben wollte man mich ganz offensichtlich einschüchtern, es war sehr scharf formuliert. Ich dachte, die platzen gleich nach Moskau-Manier hier bei mir in die Sprechstunde.“ Auch wenn solche Gedanken aus dem Schreck geboren sind – Angst vor Rufschädigung ist in einem Ort von noch nicht mal 10.000 Einwohnern durchaus nachvollziehbar.
Rechtsanwalt Dirk R. Hartmann aus Wiesbaden, den der Hausarzt dann hinzugezogen hatte, bestätigt: „Die Schreiben des Inkassounternehmens sind juristisch korrekt. Aber auch professionell aufgebaut. Sie arbeiten mit Fristen und bedienen sich eines Tons, mit dem offenbar sonst Verbraucher eingeschüchtert werden sollen.“ Der Rechtsanwalt rät Ärzten, sich nicht durch die teils drastischen Formulierungen beeindrucken zu lassen. Es ginge darum, sich so schnell wie möglich mithilfe eines Anwaltes oder der Haftpflichtversicherung aus der Schusslinie zu ziehen.
Das Verhalten der Krankenkasse, behauptete Forderungen an ein Inkassounternehmen abzugeben, wirft für den Rechtsanwalt Fragen auf. Die Krankenkasse dürfe sich zwar zur Durchsetzung ihrer Forderungen eines Inkassounternehmens bedienen, auch datenschutzrechtlich. Der Anwalt befürchtet aber, dass darüber das Verhältnis des Arztes zu anderen Patienten dieser Kasse beeinträchtigt werden könnte: „Damit ist das in die Zukunft gerichtete gemeinsame Interesse des Arztes einerseits und der Krankenkasse mit ihren Versicherten als Patienten andererseits betroffen.“ Es sei sogar zu fragen, ob diese Art von Forderungsmanagement aus der freien Wirtschaft für das Verhältnis Arzt, Patient und Krankenkasse überhaupt geeignet ist.
Der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen erklärt, dass Inkassounternehmen auch umstrittene Forderungen verfolgen dürfen. Es sei allerdings eine rechtliche Prüfung verpflichtend, die eindeutig unberechtigte Forderungen ausschließt. Gibt es keine „konsensuale Einigung“ mit dem Schuldner, kann die Forderung von einem Gericht tituliert werden. Ausnahmen, bei denen Inkassounternehmen nicht tätig werden dürfen, gebe es in diesem Sinne keine.
Zum beschriebenen Tonfall des Schreibens sagt Geschäftsführer Dennis Stratmann: „Inkassounternehmen wenden gesetzliche Mittel der Anspruchsdurchsetzung an und müssen rechtliche Schritte eben auch ankündigen. Manche Formulierungen in solchen Anschreiben können etwas einschüchternd wirken, das liegt in ihrer Natur.“ Im Zweifel sollten sich Betroffene an die Beschwerdestelle des Verbandes wenden.
„In Zukunft kategorisch alle auf die Liege“
Der angegangene Hausarzt ist durch das Verhalten des Inkassounternehmens und der dahinter stehenden Krankenkasse nachhaltig verunsichert, gerade was die Behandlung anderer Patienten betrifft. Am liebsten würde er alle Patienten der Kasse in Zukunft ablehnen. Das darf er nicht. „Mir bleibt nur, diese Patienten in Zukunft kategorisch bei der Blutabnahme auf die Liege zu schicken.“
Der Hausarzt hat mittlerweile auch Post der Rentenversicherung erhalten: eine Rechnung für entgangene Beiträge während der Krankschreibung. Und die Patientin hat einen Antrag bei der Gutachter- und Schlichtungsstelle der zuständigen Ärztekammer gestellt. Gerichtsfest sind die Gutachten der Schlichtungsstelle nicht. Aber richtungsweisend.
Doch in welche Richtung das Gutachten in diesem Fall auch weisen wird – sicher ist, dass es dem Arzt-Patienten-Verhältnis kaum zugute kommt, wenn der Behandelnde fürchten muss, für Dinge zu haften, auf die er keinen Einfluss hat. Während gleichzeitig Druck aufgebaut wird, der davon abhält, die Streitsache mit aller gebotenen Ruhe durchzufechten.
Medical-Tribune-Bericht