Strafrecht im Arztberuf – Einwilligung setzt wirksame Aufklärung voraus

Niederlassung und Kooperation Autor: Christoph Klein / Dr. Jan-Maximilian Zeller

Vor Gericht wird der Patient möglicherweise andere Dinge behaupten als im Arztgespräch. (Agenturfoto) Vor Gericht wird der Patient möglicherweise andere Dinge behaupten als im Arztgespräch. (Agenturfoto) © iStock/Henadzi Pechan

Vor Beginn einer Therapie ist im Arzt-Patienten-Gespräch über Diagnose, Behandlungsalternativen, Verlauf und Risiken zu sprechen. Wann eine Aufklärung obsolet ist oder wie ein Aufklärungsmangel juristisch geheilt werden kann, erklären zwei Kölner Rechtsanwälte und Fachanwälte für Strafrecht.

Der ärztliche Heileingriff ist nach der Dogmatik der Rechtsprechung per se eine strafrechtliche Körperverletzung, unabhängig davon, ob der Heileingriff kunstgerecht und/oder erfolgreich durchgeführt wurde. Eine Strafbarkeit des handelnden Arztes soll nur dann ausscheiden, wenn der Patient in den Heileingriff wirksam eingewilligt hat und der Arzt dadurch in strafrechtlicher Hinsicht gerechtfertigt handelt.

Eine wirksame Einwilligung setzt eine wirksame Aufklärung voraus. Die Frage nach der Aufklärung und der Einwilligung ist daher im Bereich der strafrechtlichen Körperverletzung von zentraler Bedeutung.

Wirksame Einwilligung

Für die Frage, ob eine wirksame Einwilligung vorliegt, gilt immer:
  • Eine wirksame Einwilligung bezieht sich nur auf einen lege artis durchgeführten Eingriff.
  • Eine durch Täuschung (z. B. Angabe eines falschen Verwendungszwecks bei einer Blutentnahme), Drohung oder Zwang veranlasste Einwilligung ist unwirksam.
  • Partielle Aufklärungsdefizite machen unabhängig davon, ob sich ein aufklärungsbedürftiges Risiko verwirklicht oder nicht, den ärztlichen Eingriff insgesamt mangels ausreichender Einwilligung rechtswidrig.
  • Einwilligungen in sittenwidrige Eingriffe sind unwirksam, diese Eingriffe sind per se rechtswidrig.

Ob der behandelnde Arzt fehlerhaft aufgeklärt hat und/oder ob eine unwirksame Einwilligung seines Patienten vorliegt, muss jeweils einer Einzelfallprüfung vorbehalten bleiben. Strafverfolgung tritt ohnehin nur ein, wenn sich ein Körperverletzungsrisiko verwirklicht hat, welches gerade durch eine formgerechte Aufklärung vermieden werden soll (sog. Schutzzweck der Aufklärung). Mit dem Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung kann der Arzt die Beweisführung der Strafverfolgungsbehörden, die ihm den Mangel nachzuweisen haben, im Keim ersticken. Das seit dem 26. Februar 2013 geltende zivilrechtliche Patientenrechtegesetz statuiert Form und Inhalt der Aufklärung in § 630 e BGB. § 630 e Abs. 3 BGB lässt unter bestimmten Umständen die Verpflichtung zur Aufklärung entfallen. Dies kann zunächst dadurch gerechtfertigt sein, dass der Patient bereits Kenntnis über alle aufzuklärenden Umstände besitzt. Dies kann beispielsweise durch einen identischen vorangegangenen Eingriff begründet sein. Darüber sollte sich der Arzt aber ausdrücklich vergewissern.

Verweis auf den Beipackzettel kann zu wenig sein

Der Patient kann auch auf die Aufklärung verzichten. Ein solcher Verzicht ist aber nur dann wirksam, wenn der Patient ausdrücklich durch eine deutliche, unmissverständliche und klare Erklärung auf die Information verzichtet sowie Erforderlichkeit, Chancen und Risiken der Behandlung erkannt hat. Darüber wiederum hat sich der Arzt zu vergewissern. Bei der Verschreibung von Medikamenten ist der Verweis auf die Gebrauchsinformation des Pharmaherstellers nicht ausreichend, wenn schwerwiegende Nebenwirkungen des Medikaments möglich sind. Der Arzt muss in diesem Fall mündlich aufklären.

Was wäre der hypothetische Willen des Patienten gewesen?

Jeder Aufklärungsfehler macht die Einwilligung des Patienten als Ganzes unwirksam. Doch nicht jeder Aufklärungsfehler führt zu einer Strafbarkeit. § 630 h Abs. 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch erkennt die sogenannten hypothetische Einwilligung an, welche von der Rechtsprechung auch für das Strafrecht angewendet wird. Der Eingriff soll dann nicht rechtswidrig sein, wenn der Patient im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung zugestimmt hätte (hypothetischer Wille). Dabei ist der höchstpersönliche Wille des betroffenen Patienten unter Einbeziehung seiner persönlichen Eigenschaften zu ermitteln. Es obliegt im Strafprozess der Justiz den Nachweis zu erbringen, dass der Patient sich bei (unterstellt) ordnungsgemäßer Aufklärung gegen den Eingriff entschieden hätte, wobei ein echter Entscheidungskonflikt des Patienten ausreichend wäre. Bei dieser Beweislastregel gilt der Grundsatz in dubio pro reo: Kann die Justiz also nicht zweifelsfrei nachweisen, dass auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung dieser konkrete Patient nicht eingewilligt hätte, geht der Arzt straffrei aus.

Von Körperverletzung bis Korruption

Es gibt viele Anlässe, die Ärzte mit dem Strafrecht in Berührung bringen. Das ergibt sich durch die Behandlungsituation und speziell bei Themen wie Sterilisation, Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe und Suizid­assistenz. Auch der strafbare Umgang mit Betäubungsmitteln oder das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse oder Todesbescheinigungen können Mediziner vor Gericht bringen. Täglich gilt es, die Anforderungen an die Aufklärung und Einwilligung der PatientInnen einzuhalten und eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht zu vermeiden. Korruption im Gesundheitswesen, strafbare ärztliche Werbung, Abrechnungsbetrug und Untreue führen immer wieder zu Schlagzeilen in den Medien. Was sollten Ärzte unbedingt über das praktizierte Strafrecht und mögliche Folgen ihres Handelns wissen? Wie können sie gegenüber den Justizbehörden agieren, wenn der Ernstfall eintritt? Die Kölner Fach­anwälte für Strafrecht Christoph Klein und Dr. Jan-Maximilian Zeller haben die Antworten in einem für Nicht-Juristen gut lesbaren Buch zusammengefasst. Diese Medical-Tribune-Serie gibt Auszüge wieder.

Klein/Zeller: Strafrechtliche Risiken des Arztes, 2021, 168 Seiten, ecomed Medizin, ecomed-Storck GmbH, Preis: 39,99 Euro, ISBN 978-3-609-16538-7 Hier bestellen »

Der hypothetische Wille wird im Strafprozess durch die Vernehmung des Patienten und die Erhebung weiterer Beweise ermittelt. Der Patient ist in diesem Verfahrensstadium dem Arzt in der Regel nicht mehr wohlgesonnen und wird möglicherweise Dinge behaupten, die gegen eine hypothetische Einwilligung sprechen. Auch hier kann der Arzt möglicherweise durch Vermerke über Gespräche in seinen Aufzeichnungen Anhaltspunkte für das Gericht liefern, von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen, auch wenn der Patient vor Gericht eine solche abstreitet.

Einwilligung ist bei Sittenwidrigkeit irrelevant

Verstößt der ärztliche Eingriff gegen die guten Sitten, so bleibt eine Einwilligung des Patienten rechtlich unbedeutend und der Körperverletzungstatbestand ist erfüllt. Die Frage der Sittenwidrigkeit soll sich am „Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Bürger orientieren“. Dies bedeutet, dass der Arzt nicht alles tun darf, was der Patient von ihm verlangt. Sittenwidrigkeit beurteilt sich anhand von Art und Gewicht der Körperverletzung sowie der damit einhergehenden Gefahr für die Gesundheit des Einwilligenden. Ist ein gewisser Schweregrad erreicht (Einzelfallbetrachtung), bleibt der therapeutisch nicht gerechtfertigte Eingriff rechtswidrig. Das gilt auch für Eingriffe, die ausschließlich (ohne medizinische Indikation) aufgrund Gewinnstrebens des Arztes erfolgen (bspw. die gewünschte Verschreibung von Suchtmitteln an Suchtmittelkranke ohne medizinische Notwendigkeit), genauso wie für jeden kontraindizierten Eingriff.

Gastautorenbeitrag