Einwilligungsfähigkeit Wann der Patientenwille bindend ist
Jeder ärztliche Eingriff ist eine Körperverletzung – es sei denn, der Patient hat in die Maßnahme eingewilligt. Wie aber umgehen mit der Nicht-Einwilligung von Patienten? Ob die Demenzkranke das Essen verweigert, Eltern den verhaltensauffälligen Sohn einweisen lassen wollen oder die Magersüchtige mit bedenklichem BMI auf keinen Fall in die Klinik möchte: Der Arzt bzw. die Ärztin befindet sich dabei immer zwischen den Polen unterlassene Hilfeleistung und Strafanzeige wegen z.B. Freiheitsberaubung. Jeder Fall braucht eine individuelle Einzelentscheidung, sagt Dr. Carsten Köber, Haus- und Notarzt aus Bad Mergentheim.
Entscheidend sei, ob die Person juristisch gesehen einwilligungsfähig ist. Wann das der Fall ist, dazu gibt es jedoch keine einfache Regel. Die Einwilligungsfähigkeit stellt einen Teilbereich der Geschäftstüchtigkeit dar, der sich nur auf den medizinischen Eingriff bezieht. Deswegen ist für eine Einwilligung nicht zwingend die volle Urteilsfähigkeit oder Geschäftstüchtigkeit notwendig. Der Einwilligende muss jedoch „nach seiner geistigen und sittlichen Reife imstande sein, Wesen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen“, zitiert Notarzt Dr. Köber eine juristische valide Definition.
Da sich die Fähigkeit zur Einwilligung also nur auf den Eingriff selbst beziehen muss, ist es naheliegend, dass sich Ärztin bzw. Arzt bei der jeweiligen Aufklärung von derselben überzeugt. Eine Einwilligung ohne Aufklärung gilt jedoch nicht nur in Fällen mit unklarer Einsichtsfähigkeit als nicht valide, sondern stellt auch in allen anderen Fällen die Rechtfertigung für einen Eingriff infrage. Juristisch spricht man von „rechtswidriger ärztlicher Eigenmacht“, warnt Dr. Köber. Einwilligungsfähigkeit und Aufklärung gelten damit als die beiden Grundvoraussetzungen für einen ärztlichen Heileingriff.
Was gehört zu einer wirksamen Aufklärung?
- Die Aufklärung muss mündlich durch den Arzt bzw. die Ärztin erfolgen, sie ist nicht delegierbar.
- Die Aufklärung muss das Vorgehen bei der geplanten Diagnostik bzw. Therapie, die Erfolgsaussichten und Komplikationsrisiken, die Behandlungsalternativen sowie die möglichen Konsequenzen bei Nichtbehandlung umfassen.
- Die Inhalte der Aufklärung müssen kognitiv und sprachlich verstanden werden.
- Die Aufklärung darf nur in absoluten Ausnahmefällen „zum Schutz“ des Patienten bzw. der Patientin unvollständig erfolgen.
Problematisch wird die Situation, wenn nicht klar ist, ob die Person die Aufklärung verstehen kann. Offensichtlich steht das infrage, wenn die Sprachkenntnisse unzureichend sind. Er habe einen spanisch sprechenden Patienten mit einem gastrointestinalen Infekt gehabt, erzählt Dr. Köber als Beispiel. Für eine Notfallbehandlung sei der mutmaßliche Wille des Patienten ausreichend gewesen. „Ohne Dolmetscher musste ich aber die weitere Behandlung ablehnen.“
Bei welchen Personengruppen besondere Vorsicht geboten ist
Minderjährige
Bei komplikationslosen Eingriffen wie einer Blutentnahme oder der chirurgischen Versorgung einer kleinen Wunde ist die Selbsteinwilligung auch für unter 14-Jährige unproblematisch. Aber auch grundsätzlich ist die Einwilligung kein Rechtsgeschäft, womit also auch Kinder grundsätzlich einwilligungsfähig sind. Arzt und Ärztin müssen sich jedoch davon überzeugen, dass der Minderjährige über die notwendige Einsichtsfähigkeit verfügt – und das unbedingt dokumentieren. In der Praxis ist es natürlich immer von Vorteil, sich die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters einzuholen, wenn dem nichts entgegensteht. Cave: Sind die Eltern getrennt und beide erziehungsberechtigt, müssen bei schwerwiegenderen Eingriffen immer beide Elternteile gefragt werden. Bei drohenden erheblichen Folgen für die Lebensgestaltung ist übrigens ein Veto des Kindes gegen die Elternentscheidung möglich – klassisches Beispiel hierzu wäre die Bluttransfusion bei Kindern von Zeugen Jehovas. Im Zweifelsfall ist dann ein Richter hinzuzuziehen, was über Notdienste auch nachts und an Feiertagen möglich ist. Eine Mit-Aufklärung hält Dr. Köber schon bei Kindern ab sechs Jahren für sinnvoll. Eine Coronaimpfung habe übrigens keine sonderlich große Tragweite. Haben Arzt oder Ärztin sich von der Einsichtsfähigkeit der Jugendlichen überzeugt, sachgerecht aufgeklärt und dokumentiert, bietet das Vorgehen im Grunde genommen keine juristischen Angriffspunkte.Alkoholisierte
Anders als bei der Fahrtüchtigkeit gibt es für die Einwilligungsfähigkeit von Alkoholisierten keine gesetzlich festgelegte Promillegrenze – es gibt Urteile, die eine Einwilligungsfähigkeit noch bei über 2 bzw. bei 4 Promille als gegeben ansahen. Auch hier muss also die Einsichtigkeit individuell beurteilt werden. Gute Dokumentation ist wichtig!Geistige Behinderung/psychische Erkrankung
Auch bei Demenz, Psychose oder geistiger Behinderung kann die Prüfung des Einzelfalls ergeben, dass eine Einwilligungsfähigkeit gegeben ist. Selbst bei Suizidwilligen ist z.B. die Einweisung gegen den eigenen Willen zunächst nicht grundsätzlich gedeckt. Anders stellt sich die Situation jedoch bei eintretender Bewusstlosigkeit dar: Ist der Wille des Patienten nicht zu ermittlen, gilt, was in Notfallsituationen gilt, ungeachtet der Vorgeschichte. Bei Betreuten kommt das Subsidiaritätsprinzip zum Tragen: Nur wenn der Patientenwille tatsächlich nicht ermittelt werden kann, entscheidet der Betreuer. Eine betreute Person könnte also durchaus gegen den Willen ihres Betreuers z.B. einer Zahnbehandlung widersprechen.Was hilft, festzustellen, ob eine Person einwilligungsfähig ist?
- Prüfen Sie, ob der Patient alles Relevante verstanden hat: Lassen Sie sich die wichtigsten Informationen wiederholen, vermeiden Sie geschlossene und Suggestivfragen. Lassen Sie die Vor- und Nachteile des Vorgehens in eigenen Worten reproduzieren.
- Prüfen Sie, ob die Person die Information auf sich beziehen kann, fragen Sie z.B.: „Welche Folgen wird die Behandlung für Sie haben?“ und: „Was könnte passieren, wenn Sie den Eingriff jetzt nicht machen?“
- Prüfen Sie, ob die Person in der Lage ist, eine Wahl zu treffen: Hat sie ihre Entscheidung selbst geäußert und frei formuliert? Fragen Sie nach Argumenten: „Warum haben Sie sich so entschieden?“ In einigen Fällen bieten sich hier auch noch Interventionsmöglichkeiten, mit denen man nicht gerechnet hat – etwa wenn die Versorgung von Haustieren oder ähnlich lösbare Probleme als Grund für eine Nicht-Zustimmung genannt werden.
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